Lausitzer Rundschau: Erst kommt das Fressen

Ein Cottbuser Lehrstück über politische Kultur

Cottbuser Stadtverordnete drohen Brandenburgs
Kulturministerin Martina Münch, aus der Finanzierung der
Kulturstiftung auszusteigen. Nur eine Drohung zunächst, denn niemand
will ernsthaft an den Fundamenten des schicken Musentempels rütteln,
mit dem sich Politiker und Bürger gleichermaßen gerne brüsten, wenn
es um die wirklich schönen Seiten Südbrandenburgs geht. Nur bezahlen
will die Stadt dafür am liebsten gar nichts – und die Ministerin hat
immerhin ihren Wahlkreis in Cottbus. Eines der letzten Wahrzeichen
der Lausitz soll auf dem Altar der Politik geopfert werden, um
Gespräche mit dem Land zu erzwingen. Doch weil so ein kompletter
Ausstieg praktisch nicht umsetzbar ist, wird ein Teilrückzug
eingefädelt und von der Stadtverordnetenversammlung beschlossen.
Einen öffentlichen Aufschrei hat das nicht ausgelöst. Zumal die
Argumente angesichts eines 58-Millionen-Schuldenbergs so schlüssig
scheinen: Alle müssen kürzer treten, da guckt man traurig auf die,
die scheinbar alles haben und fragt nicht mehr nach dem Zusammenhang.
Wieso aber regt sich keine Öffentlichkeit zum Thema? In aller Stille
geht in Cottbus ein Vorgang über die Bühne, der ganz gut mit
BBI-Flugrouten mithalten könnte... – wenn nur
irgendjemand Notiz davon nähme. Keine Lobby, die „ihr“ Theater
verteidigt, so wie sie eben noch den Untergang des Abendlandes
angebrochen sah wegen ein paar heruntergelassenen Hosen beim
Pückler-Spektakel? Oder sollte es gar so sein, dass ein verhunztes
Kresnik-Stück gerade recht kam, um ein anderes Schurkenstück
gesellschaftsfähig zu machen? Damit sich auch Provinzpolitiker aus
der Deckung trauten, dem großen Staatstheater mal „die Instrumente zu
zeigen“, wie die Inquisitoren einem gewissen Galileo Galilei? Am
spannendsten überhaupt ist dabei die Frage, wer bei diesem Spiel
eigentlich die Fäden zieht – und aus welchen Motiven. Auch
Stadtverordnete haben noch ein Leben neben der Politik – manche
interessieren sich eher für Fußball als für Kultur, sie sind klug –
oder nicht, weitsichtig, machtbewusst oder eben neidisch. Alles
menschlich, aber als Grundlage politischer Entscheidungen nicht zu
dulden. Theater sind teuer, aber sie sind kein Luxus. Von
Zweitligafußball allein nährt sich diese Stadt nicht – deshalb
brauchen wir dieses Staatstheater, deshalb brauchen selbst die es,
die gar nicht hineingehen, weil Cottbus sonst in kürzester Zeit in
die Bedeutungslosigkeit zurückfällt. Noch nie in der Geschichte der
Bundesrepublik ist eine Kommune an der Kultur bankrott gegangen.
Lange vor RTL-Schuldnerberater Peter Zwegat wusste der Dichter Bert
Brecht: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.

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