Für die Grünen geht das erfolgreichste Jahr ihrer
Parteigeschichte zu Ende. Erstmals sind die Ökos in allen
16Landtagen und an fünf Regierungen beteiligt. In
Baden-Württemberg ist ein Grüner gar Ministerpräsident. Und wer die
selbstbewussten Auftritte ihrer Führung auf dem Bundesparteitag am
Wochenende in Kiel für bare Münze nahm, der konnte glatt den Eindruck
gewinnen, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die Grünen
auch wieder in der Bundesregierung mitmischen. Hinter der
Inszenierung steckte jedoch viel Pfeifen im dunklen Wald. Denn die
Partei scheint sich einstweilen im Sieg erschöpft zu haben. Die
Anti-Atomschlacht ist geschlagen, nachdem Schwarz-Gelb sogar einen
ehrgeizigeren Ausstieg proklamierte als vormals Rot-Grün. Darüber
kann auch der längst schon ritualisierte Grünen-Protest gegen die
Castor-Transporte nicht hinwegtäuschen. Im Gegenzug ist die
Schuldenkrise in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Ein
Handlungsfeld, das der Wähler kaum mit den Grünen verbindet. So
stehen die Ökos nun vor der Herausforderung, sich inhaltlich neu zu
profilieren. Die zentralen Kieler Beschlüsse zur Euro-Rettung und zur
Steuerpolitik sind allerdings mitnichten von jener Originalität
geprägt, die die Grünen bei ihren ökologischen Urthemen unter Beweis
gestellt haben. Eurobonds fordern inzwischen fast alle. Aber man
wüsste schon gern, welche konkreten Bedingungen die Grünen daran
knüpfen, um Problemstaaten bei der Haushaltskonsolidierung zu
disziplinieren. Die bloße Beschwörung des Euro und der europäischen
Integration ist jedenfalls zu dürftig, um die Bürger nachhaltig davon
zu überzeugen. Auch die Diskussion über die künftige fiskalische
Belastung von Spitzenverdienern blieb merkwürdig uninspiriert. Früher
wäre darüber noch heftig unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit
gestritten worden. In Kiel dagegen zog es sich wie ein grüner Faden
durch die Diskussion, dass allzu heftige Steuererhöhungsbeschlüsse
einzig der FDP in die Hand arbeiteten. Zu einer „eingeständigen
politischen Kraft“, wie grüne Promis ihre Partei gern preisen, passt
das wohl kaum. Überhaupt ist es mit der Eigenständigkeit so eine
Sache, nachdem maßgebliche Führungsleute angesichts der Berliner
Wahlniederlage schwarz-grüne Bündnisse kategorisch ausgeschlossen
haben. Damit binden sich die Grünen auf Gedeih und Verderb an die
SPD. Genau das gibt der Union jedoch die Gelegenheit, für 2013 wieder
den Lagerwahlkampf auszurufen, an deren Ende die Grünen erneut in der
Opposition landen könnten, weil das linke Spektrum durch die
Existenz der Piratenpartei womöglich noch mehr ausfranst. Auch im
Fach Strategie und Taktik müssen die Grünen wohl noch einiges lernen.
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