DER STANDARD-Kommentar: „Ausgewogenheit der Schmerzen“ von Michael Völker

Das politische Marketing arbeitet mit der Kategorie
Gewinner und Verlierer. Idealerweise stünden jetzt Kanzler Werner
Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger als Gewinner da.
Idealerweise hätte man auch in der Sache etwas erreicht und eine
reale Chance gewonnen, das gesamtstaatliche Defizit tatsächlich schon
2012 auf unter drei Prozent zu drücken. Und idealerweise stünde die
FPÖ am Ende nicht als der große Gewinner da.
Das Konsolidierungspaket ist ein Wurf. Durchaus ambitioniert, aber
mit Schwächen. Und es ist in Teilen geschummelt: Eingepreist ist eine
europäische Finanztransaktionssteuer, die es noch gar nicht gibt.
Auch das Steuerabkommen mit der Schweiz, um an das dort geparkte
Schwarzgeld heranzukommen, muss erst verhandelt werden. Das sind
theoretische Posten.
In der Realität gibt es echte Verlierer, ganz konkret: jene Menschen,
die vom Sparpaket in der Praxis betroffen sind. Jene Menschen, die
jetzt schon mit wenig auskommen müssen und in Zukunft einmal mehr
reale Einbußen hinnehmen werden müssen – sie baden das Sparpaket aus.
Das sind Pensionisten, Arbeitnehmer, auch Bauern. Die werden weniger
haben. Auf einem hohen Niveau ins Wehklagen einstimmen könnten auch
die Beamten. Sie werden leisertreten müssen – haben aber gute und
sichere Jobs.
Auch die Spitzenverdiener könnten jammern, sie werden mit einem
Solidarbeitrag zur Kasse gebeten. Das trifft Angestellte wie
Unternehmer. Wir reden von einem Jahreseinkommen von 184.000 Euro
aufwärts, da hält sich das Mitleid in Grenzen. Aber man muss
festhalten, dass es durchaus beachtliche Beiträge sein können:
Erste-Chef Andreas Treichl hat bei einem Jahreseinkommen von 2,8
Millionen Euro künftig 150.000 Euro solidarisch abzuliefern.
Immerhin. Das wird die SPÖ-Basis freuen.
Was jedenfalls fehlt, sind große Strukturreformen, die Länder haben
sich für ihren Beitrag sogar noch mehr Mitspracherecht ausbedungen.
Wie die Einsparungen im Spitalsbereich ausschauen sollen, bleibt
diffus. Die geplanten Kürzungen im Politikbereich sind Folklore: Ein
schlechter Marketinggag, der möglicherweise zu einem Demokratieabbau
führt. Es war klar, dass auch die Politik bei sich etwas tun muss, um
den Sparwillen glaubhaft zu machen. Die Zahl der Abgeordneten ohne
politische Diskussion zu reduzieren wäre fahrlässig.
Wo der Regierung wenigstens in Ansätzen ein Wurf gelungen zu sein
scheint, ist der Pensionsbereich: Die Systeme werden endlich
vereinheitlicht, eine Vielzahl an Maßnahmen wird dazu führen, das
faktische Pensionsalter anzuheben.
Natürlich ist das Sparpaket auch von politischem Aktionismus
getragen, das zeigt der Streit um das Verhältnis zwischen
Einsparungen und Mehreinnahmen, der schon vor der offiziellen
Präsentation ausgebrochen ist: Die ÖVP behauptet, der Anteil der
Steuereinnahmen liegt nur bei 24 Prozent, die SPÖ sieht ihn bei 38
Prozent. Mit Rechentricks belegbar sind beide
Interpretationsvarianten.
Mit kleinlichen Rechentricks könnten Faymann und Spindelegger ihr
Sparpaket aber auch ganz schnell kleinreden und kaputtmachen. Das
wäre schade. Das Paket hat seine Härten, und es hat seine Schwächen –
aber es ist solide. Das ist mehr, als man erwarten durfte. Die
Ausgewogenheit der Schmerzen müssen SPÖ und ÖVP jetzt gemeinsam
verkaufen. Dann hätten sie politisch etwas gewonnen.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

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