DER STANDARD – Kommentar „Ein beispielhafter Prozess“ von Alexandra Föderl-Schmid

Der geständige Massenmörder Anders Behring Breivik
grinst hämisch, er weint aus Mitgleid über sich selbst und schildert,
er habe nichts gefühlt, als er auf der Insel Utöya 69 Menschen
erschossen hat. Er habe seine Opfer „entmenschlicht“, um die Angriffe
verüben zu können. Es ist für unbeteiligte Beobachter kaum zu
ertragen, was der Angeklagte im Osloer Gericht von sich gibt; wie
schwer muss dies erst für Angehörige und Freunde der 77 Todesopfer
sein. Der Breivik-Prozess ist eine Zumutung – und beispielhaft
zugleich.
Es geht nicht nur um die juristische Aufarbeitung der Verbrechen von
Oslo und Utöya. Soll/darf einem Massenmörder in einem öffentlichen
Prozess eine Bühne geboten werden? Soll einer, der behauptet, „Terror
ist Theater“, seine kruden Thesen weiterhin verbreiten dürfen? Für
Breivik ist das Gerichtsverfahren „Phase 3 der Operation“, wie er in
seinem „Manifest“ schrieb: Dabei gelte es, „die Bürgerkriegsbotschaft
zu vertiefen“.
Medien sorgen für Verbreitung. 1400 Journalisten aus 224 Redaktionen
sind für den Prozess akkreditiert. Die Berichterstattung ist eine
Gratwanderung. Wo ist die Grenze zwischen Informationspflicht und
Voyeurismus, wann erledigen Journalisten die PR-Arbeit eines
Massenmörders?
Die Norweger haben eine souveräne Antwort gefunden: Der Prozess wird
öffentlich geführt, der Angeklagte darf sich ausführlich äußern, auch
Live-Berichte aus dem Gerichtssaal sind erlaubt. Norwegen zeigt sich
als liberaler Rechtsstaat und erfüllt das, was Ministerpräsident Jens
Stoltenberg gleich nach den Attentaten in beeindruckender Weise
gesagt hat: Die Reaktion müsse mehr Offenheit und Demokratie sein. In
Österreich gab es den Metternich-Reflex: Forderungen nach mehr
Überwachung, einer Verschärfung der Antiterrorgesetze bis hin zur
Einführung der Todesstrafe.
Der bisherige Prozessverlauf hat gezeigt, dass der Weg schmerzhaft,
aber richtig war: Staatsanwältin Inga Bejer Engh hat den Angeklagten
in die Enge getrieben, sein ideologisches Konstrukt, das er in seinem
„Manifest“ zusammengezimmert hat, ist zusammengebrochen. Die
Anklägerin und die Richterin Wenche Elizabeth Arntzen haben in der
ersten Prozesswoche durch ihre gut vorbereitete, ruhige Art
verhindert, dass der geständige Attentäter das Gericht zur Bühne
seiner obskuren Weltanschauung machen konnte: indem sie, wenn
notwendig, eingeschritten sind und nachgefragt haben.
So trat am vierten Prozesstag Überraschendes ein: Breivik hob das
erste Mal nicht mehr die rechte Faust zur Begrüßung. Und er stand
auf, als Richter und Schöffen den Raum betraten. Das hatte er bis
dahin beharrlich verweigert – als Ausdruck seiner Geringschätzung des
Gerichts. Der Rechtsstaat zeigte Wirkung, wenn auch von Einsicht bei
diesem geständigen Massenmörder nichts zu merken ist.
Der Massenmörder Breivik wird nach denselben Regeln wie jeder
Kriminelle behandelt. Selbst der in Norwegen übliche Händedruck der
Prozessbeteiligten wird ihm nicht verwehrt. Norwegen agiert damit
anders als Deutschland, wo es Bemühungen gab, das Rederecht von
Angeklagten bei den Prozessen gegen Mitglieder der Rote Armee
Fraktion einzuschränken.
Breiviks Rechte zu beschneiden hätte dem Terroristen einen Triumph
beschert, die rechte Szene hätte einen Märtyrer gehabt. So hat
Norwegen gezeigt, wie ein liberaler Rechtsstaat mit Terror und
Massenmord umgeht.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

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