Die Medizin ermöglicht Dinge, die noch vor wenigen
Jahrzehnten unvorstellbar waren. Das Recht ist dabei in einer extrem
schwierigen Lage:Es soll Regeln aufstellen, einen Wertekanon, obwohl
bei den Werten nur wenig noch so ist, wie es einmal war. Vieles, was
einst in Granit gemeißelt schien, zerbröselt – was nicht selten
irritiert oder erschreckt. Ähnliches gilt auch beim „herkömmlichen“,
nicht von Medizin bestimmten Familienrecht, etwa bei
gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und Adoptionen. Was den
medizinisch-biologischen Bereich betrifft, so war glücklicherweise
die Verständigung auf zumindest einen Grundpfeiler möglich: Nicht
alles, was machbar ist, ist ethisch verantwortbar. So ist etwa das
Klonen von Menschen verboten. Die künstliche Befruchtung durch
Samenspenden dagegen ist ein legaler und legitimer Weg – moralisch
verantwortbar, für betroffene Paare in nachvollziehbarer Weise sogar
als Segen zu empfinden. Nun hat das Oberlandesgericht Hamm geurteilt,
dass Kinder anonymer Samenspender den Namen ihres biologischen Vaters
erfahren dürfen. Das Gericht stuft das Persönlichkeitsrecht des
Kindes zu Recht höher ein als das Anonymitätsinteresse des
Samenspenders. Diese Abwägung interpretiert das Menschenbild des
Grundgesetzes in überzeugender Weise. Aber das Urteil stellt zugleich
alles auf den Kopf, all die Absprachen, das, was man kaltherzig aber
realistisch die Geschäftsgrundlage des Samenspendens nennen könnte.
Was, wenn das Kind Erb- und Unterhaltsansprüche stellt? Da müssen nun
schnellstens Regeln her. Die müssen moralisch unantastbar sein, aber
auch praktikabel. Nötig sind dabei Gesetzesbürokratie und Pragmatik
in der Rechtsprechung – fern jeder Familienromantik. Die neue
Wertewelt fordert ihren Preis. Hoffentlich ist sie ihn am Ende wert.
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