Ein bitterer Moment für die Koalition, eine kleine
Zäsur in der Politik: Mit ihrem Beschluss für die Einführung eines
Mindestlohns von 8,50 Euro hat die neue rot-rot-grüne Mehrheit im
Bundesrat unverzüglich ihre Ankündigung wahr gemacht, die Regierung
mit Gesetzesinitiativen unter Druck zu setzen. Das erste Exempel ist
gut gewählt, auch wenn alle Beteiligten wissen, dass Schwarz-Gelb im
Bundestag den Mindestlohn stoppen wird. Die Union wird von dem
Vorstoß kalt erwischt – verzweifelt versucht sie, vor der
Bundestagswahl einen „Mindestlohn light“ mit der FDP auszuhandeln, um
Rot-Grün ein Thema abzujagen. Doch mehr als Nebelkerzen sind der
Koalition bisher nicht gelungen. Der Vorwurf, Rot-Grün betreibe da
eine politische Schau, läuft ins Leere. Aber: Es ist nur ein schmaler
Grat zwischen Gestaltungsanspruch und Krawall. Vieles deutet darauf
hin, dass die neue Ländermehrheit doch auf den billigen Effekt setzen
und den Bundesrat als Wahlkampf-Bühne missbrauchen wird. Das
avisierte Gesetz zur Abschaffung des Betreuungsgeldes etwa hätte
wenig mit gestaltender Politik, aber viel mit Klamauk zu tun: SPD und
Grüne wollen bloß die FDP vorführen, die dann im Bundestag aus
Koalitionstreue erneut für die ungeliebte Familienleistung stimmen
muss. Für solche Spielchen ist die Länderkammer eigentlich nicht da.
Allerdings werden sie auch nicht ewig dauern. Die eigentliche
Bedeutung der rot-grünen Mehrheit wird erst nach der Bundestagswahl
sichtbar werden: Bliebe die schwarz-gelbe Koalition an der Macht,
hätte sie bei ihrer neuen Agenda mit anhaltendem Widerstand des
Bundesrats zu kämpfen – so wie einst Rot-Grün bis 2005. Der
verantwortungsvolle Umgang mit dieser Gegenmacht wäre eine
Herausforderung für sich. Aber auch eine Große Koalition würde
mangels Länder-Mehrheit unter erschwerten Bedingungen starten. Eine
rot-grüne Regierung indes könnte komfortabel durchregieren – wohl
erst 2016 wäre die Mehrheit im Bundesrat wieder in Gefahr. Das
Problem wäre ein anderes: Ein Kanzler Steinbrück würde zügig mit
SPD-Länderfürsten wie Kraft, Weil oder Scholz aneinander geraten.
Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 – 804 6519
zentralredaktion@waz.de