Der Jubel von Netzaktivisten und Datenschützern kam
gestern etwas verfrüht: In einem Gutachten hat EU-Generalanwalt Cruz
Villalón der umstrittenen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung zwar
eine klare Absage erteilt. Gleichzeitig deutet er aber einen Weg an,
wie die Richtlinie unter Berücksichtigung der Grundrechtecharta
geändert werden könnte – im Wesentlichen durch eine Begrenzung der
Speicherfristen. So weit, so schlecht – und leider wenig
überraschend.
Die große Koalition der Überwachungsfreunde in Deutschland sollte
sich ihrer Sache dennoch nicht allzu sicher sein: Schon in den Jahren
2005 bis 2009 hatten Merkel und ihre SPD-Partner mit einer weitgehend
grundrechtsfeindlichen Netzpolitik massiven Widerstand provoziert.
Darunter haben vor allem die Sozialdemokraten gelitten: Für junge,
netzaffine Menschen galten sie lange Zeit als kaum noch wählbar.
Ähnliches dürfte drohen, wenn die Vorratsdatenspeicherung hierzulande
wieder eingeführt werden sollte.
Denn das grundsätzliche Problem dieser Überwachungsform ändert
sich auch nicht dadurch, dass die Kommunikationsdaten nun nur sechs
oder später vielleicht drei Monate lang gespeichert werden. Dahinter
steht vielmehr die Frage: Finden wir uns damit ab, dass alle unsere
Verbindungsdaten ohne jeden Anlass abgegriffen und gespeichert
werden? Finden wir das akzeptabel, wenn alle Bürger unter
Generalverdacht stehen, um Ermittlern in wenigen Einzelfällen das
Leben zu erleichtern? Für immer mehr Menschen gibt es auf diese Frage
nur eine Antwort: Nein, unsere Freiheit ist uns wichtiger!
Wie weit weg man in Union und SPD von dieser jungen und so
wichtigen, meinungsbildenden Zielgruppe entfernt ist, bewies zuletzt
Sigmar Gabriel höchstpersönlich: Fälschlicherweise pries der SPD-Chef
in einem Interview die Vorzüge der Vorratsdatenspeicherung am
Beispiel Norwegens, wo man den Massenmörder Breivik nur dank eben
jener Speichermöglichkeiten schnell gefasst habe. Dumm nur, dass es
in Norwegen überhaupt keine Vorratsdatenspeicherung gibt. Als Gabriel
dann gleichzeitig via Facebook die Initiative prominenter
Schriftsteller gegen den Überwachungswahn lobte, brachte dies das
Fass zum Überlaufen: Mehr als 1200 Nutzer rechneten binnen zwei Tagen
in Facebook-Kommentaren mit Gabriel ab – ein kleiner Vorgeschmack auf
das, was den Herrn in Zukunft erwartet. Da wird es den Koalitionären
nur wenig helfen, dass der stets kritische
Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar (grünes Parteibuch) wohl
bald von Andrea Voßhoff (CDU-Parteibuch) abgelöst wird – einer Frau,
die bislang nicht durch Fachwissen zum Datenschutz überzeugen konnte,
sondern stattdessen als Abgeordnete im Bundestag brav für
Internetsperren, Online-Durchsuchung und Vorratsdatenspeicherung die
Hand gehoben hat.
Nein, lieber Bundesinnenminister, dieser humoristische Schachzug
wird Sie auch nicht retten! Denn in Deutschland gibt es immer mehr
Datenschützer, die Ihnen künftig auf die Füße treten werden: auf
Facebook, via Twitter, in Blogs und auf der Straße. Denn wir Bürger
sind die einzig wahren Datenschützer. Und auf diese kommende
Koalition können wir offenbar nicht zählen.
Pressekontakt:
Aachener Nachrichten
Redaktion Aachener Nachrichten
Telefon: 0241 5101-388
an-blattmacher@zeitungsverlag-aachen.de