BERLINER MORGENPOST: Berlin in der Lässig-Falle / Leitartikel von Hajo Schumacher

Im ICE liegen kopierte Zettel in den
Fahrplanheftchen. Wegen der Unklarheiten rund um den neuen Berliner
Flughafen werde dieses Ziel vorerst nicht angefahren. So wird das
Desaster deutschlandweit täglich millionenfach im Gedächtnis
gehalten. Gut so. Denn mit unserer Chaos-Routine haben wir das
Ärgernis BER fast schon verdrängt. Tegel läuft, Schönefeld läuft,
kein neuer Fluglärm – eijentlich is– doch jar nüscht. Ob der
Stresstest gestern neue Erkenntnisse brachte oder alte bestätigte,
ist doch wurscht. Irgendwann wird halt eröffnet. Da kiekste: allet
wieda jut. So wie det Wetter. Darauf erstmal –ne Molle. Vielleicht
hat die unendliche Baugeschichte ja doch eine Botschaft. Die eine
spräche Berlin gleichsam frei. Denn nahezu alle Großprojekte in
Deutschland, vermutlich sogar weltweit, haben eines gemeinsam: Sie
werden nicht zum geplanten Termin fertig, kosten deutlich mehr als
prognostiziert und sorgen für Streit ohne Ende. Gegen die
Elbphilharmonie ist BER eine preisgünstige Kuschelveranstaltung,
Stuttgart 21 hat sogar eine Landesregierung weggefegt. Die relativ
schlichte Lehre: Nicht die Projekte wurden falsch angegangen, sondern
falsche Erwartungen geweckt. Angesichts deutscher und europäischer
Vorschriften und der immensen technischen Komplexität grenzt es an
ein Wunder, dass derlei monströse Projekte überhaupt fertig werden.
Das Problem ist die Politik: Einerseits sollen die Kosten niedrig
liegen, aber am Eröffnungstag soll bitte alles glänzen. Ein
unseriöses Versprechen. Genauso gut könnte man den Verlauf der
nächsten Saison für Hertha garantieren wollen. Geht nicht. Warum?
Weil zu viele Unsicherheitsfaktoren im Spiel sind, bei BER noch mehr
als beim Fußball. Realitätsferne Pläne, die von den Regierenden wider
besseres Wissen zum Normalfall erklärt werden, sind ein
unerreichbares Ideal. Normal sind Verzögerungen und Überraschungen.
Das weiß übrigens jeder, der seine Gartenlaube renoviert oder gar ein
Haus baut. Irgendwas ist immer, nur Planmäßigkeit nie. Hätten
Platzeck und Wowereit ihre nicht unbeträchtliche Routine konsultiert,
hätten sie drei Daten genannt: den Idealtermin, den Normaltermin und
den Notfalltermin. Die zweite Botschaft von BER ist etwas
besorgniserregender: Berlin verlässt sich leichtsinnigerweise auf
seine gefühlte Großartigkeit, der BER, S-Bahn, Oper nichts anhaben
kann. Von Lokalpatrioten relativ unbemerkt, ist die deutsche
Hauptstadt im Trend-Ranking der Schicki-Zeitschrift „Monocle“
deutlich abgefallen, raus aus den Top Ten der angesagtesten
europäischen Städte. Zürich, Kopenhagen, auch München liegen deutlich
vorn. Kann es sein, dass die Phase der Berliner Attraktivität langsam
am Ende ist? Inzwischen war die ganze Welt zu Besuch, findet die
Lässigkeit ganz cool, ist aber nicht bereit, offenkundige Mängel
länger als Charme anzusehen. Ein würdiges Finale von BER würde
nachweisen, dass Berlin mehr kann als sich selbst genügen. Aber damit
ist nicht zu rechnen.

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