BERLINER MORGENPOST: Erziehung heißt auch Verantwortung – Leitartikel

Die Verantwortung für die Erziehung der Kinder
liegt bei den Eltern, nicht beim Staat. Artikel 6 des Grundgesetzes
ist da eindeutig: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das
natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende
Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“
„Recht und Pflicht“ nennt es das Grundgesetz. Aus dem Recht ergeben
sich Ansprüche. Wer nicht klarkommt mit der Erziehung seiner Kinder,
bekommt Hilfe vom Staat. Berlin gibt für Familienberater,
Sozialtherapeuten und Heimbetreuung pro Jahr mehr als 400 Millionen
Euro aus. Dazu kommen kostenlose Kitas und viele verbilligte Angebote
für arme Familien. Doch offenbar reichen die Angebote nicht aus. Der
am Dienstag vorgestellte Bericht zur Sozialstruktur und
Kindergesundheit macht erneut auf eine für Berlin alarmierende
Problemlage aufmerksam: Wenn Kinder in armen Haushalten aufwachsen,
in sozial schwachen Schichten, wie es im Amtsdeutsch heißt, dann
haben sie auch gesundheitliche Probleme. Dann sind sie übergewichtig,
haben motorische Schwierigkeiten und häufig auch Sprachdefizite.
Diese Erkenntnis betrifft nicht nur Migranten. Auch Kinder aus
deutschen Problemhaushalten weisen Defizite in ihrer Entwicklung auf.
Richtig ist zwar auch: Zwei Drittel aller Berliner Kinder, die 2007
und 2008 eingeschult wurden, waren gesundheitlich völlig unauffällig.
Die Mehrheit der Jungen und Mädchen bestand ohne oder mit nur
geringen Problemen die Schuluntersuchung beim Amtsarzt. Es gibt also
in Berlin viele Eltern, die sich um ihre Kinder kümmern. Die ihnen
das Zähneputzen beibringen sowie für eine gesunde Ernährung und genug
Bewegung sorgen. Auch die Zahl derjenigen, die gut Deutsch sprechen,
hat zugenommen. Von 55 Prozent im Jahr 2005 auf 67 Prozent in 2009.
Das ist aber auch dem früheren Kita-Besuch und der Arbeit der
Erzieherinnen und Erzieher zu verdanken. Doch was sind die Lehren aus
der Erkenntnis, dass es Kinder aus armen und sozial schwierigen
Verhältnissen besonders schwer haben in unserer Gesellschaft? Die
staatliche Gemeinschaft wacht über die Erziehung, heißt es auch im
Grundgesetz. Diesen Weg geht Berlin auch konsequent: Immer mehr
Betreuung in Kita und Schule, immer weniger im Elternhaus. Und das
mag für einen Teil der Kinder auch richtig und notwendig sein. Wenn
sie in einem Milieu groß werden, dass von Alkohol, Armut und Streit
geprägt ist, bleibt vielleicht nur dieser eine Ausweg. Doch bei allen
Angeboten darf die Politik die Eltern aus der Pflicht zur Erziehung
nicht herauslassen. Eltern sollen Vorbild sein. Wer den ganzen Tag
vor dem Fernseher auf der Couch liegt und Chips isst, darf sich nicht
wundern, wenn die Kinder sich ebenfalls falsch ernähren. Manche
Eltern muss man an ihre Vorbildfunktion auch von Amts wegen erinnern.
Die Verantwortung zur Erziehung geht aber weiter. Sie betrifft nicht
nur die Ernährung und Bewegung. Wenn Kinder im Internet üble Gerüchte
über Mitschüler verbreiten, dann sollten nicht nur die Behörden
einschreiten und solche Seiten verbieten. Respekt zu haben vor
anderen – egal ob auf dem U-Bahnhof oder im Internet – ist eben auch
eine Tugend, die Eltern ihren Kindern vermitteln müssen. Ob Chips und
Fernsehen oder üble Nachrede – Eltern sollten ihre Kinder stark
machen gegen die Versuchungen der Welt.

Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de