Gründe gibt es immer: Dieses Mal sind es die
drastisch gestiegenen Kosten für Energie. Das müsse nun auf den
Fahrpreis für Busse, Straßen-, U- und S-Bahnen umgelegt werden. So
die Argumentation des Verkehrsverbundes Berlin Brandenburg. Um
durchschnittlich 2,8 Prozent steigen nun die Ticketpreise am 1.
August. Tatsächlich sind in den vergangenen Monaten die Preise für
Strom und Diesel im zweistelligen Bereich nach oben geschnellt. Was
der Autofahrer bei jedem Tanken feststellt oder der Mieter mit der
Stromrechnung – dass er nämlich Rekordpreise zahlen muss – gilt auch
für die Verkehrsunternehmen. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit.
Denn dazu gehört auch, dass die Berliner seit nunmehr drei Jahren die
Probleme bei der S-Bahn hinnehmen müssen. Es fallen immer noch Züge
aus. Und immer noch fahren verkürzte Bahnen, die zu
Hauptverkehrszeiten häufig so voll sind, dass Fahrgäste am Bahnsteig
stehen bleiben. Besonders betroffen sind Mütter mit Kinderwagen oder
behinderte Menschen. Aber alle Fahrgäste zahlen 100 Prozent des
Ticketpreises. Da hilft es auch nicht, dass das Land Berlin einen
Teil der Zuschüsse für die S-Bahn als Strafzahlungen einbehält. Bei
den Berliner Verkehrsbetrieben sieht es nicht viel besser aus. Dort
fährt zwar die U-Bahn regelmäßig. Aber bei den Bussen geht es
teilweise chaotisch zu. Wer an einer Haltestelle steht, wartet
manchmal statt fünf 20 oder 30 Minuten auf den nächsten Bus. Wenn
dann einer kommt, folgt ihm häufig der nächste. Oder es fahren sogar
drei Busse in einer Kolonne hintereinander: einer voll besetzt – und
zwei mit viel Berliner Luft. Was hilft ein teures
Beschleunigungsprogramm, wenn in der Realität das große Warten
angesagt ist. Laut Fahrgastverband Igeb gibt es hier ein
Einsparpotenzial von zehn Millionen Euro. Aber wieso sparen – es
zahlt ja der Fahrgast. Dann gibt es auch noch einen Verkehrsvertrag
mit der BVG. Der sieht zwar eine Überprüfung der Zuschüsse des Landes
bei steigenden Kosten vor. Aber mehr Geld aus der Stadtkasse gibt es
bisher nicht. Und das, obwohl die Politiker in Sonntagsreden immer
die Bedeutung des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin betonen. Wer all
das betrachtet, muss feststellen, dass der am Donnerstag beschlossene
Anstieg der Fahrpreise also nur die Kunden trifft. Aber wehren können
die sich ja eh nicht – bei den steigenden Benzinpreisen. Doch damit
nicht genug. Denn zurzeit wird eine Weichenstellung vorbereitet, die
das Preissystem grundlegend verändern könnte: automatisch steigende
Fahrpreise. Angestoßen hat diese Diskussion Stadtentwicklungssenator
Michael Müller (SPD), der den Unternehmen mit einem Ausgleich in
Inflationshöhe Planungssicherheit geben will. Das mag aus der Sicht
der Verkehrsbetriebe sinnvoll erscheinen. Wenn sich BVG, S-Bahn und
Co. aber auf jährliche Einnahmesteigerungen einstellen können,
welchen Anreiz zum Sparen sollen sie noch haben? Nein, die
automatische Fahrpreiserhöhung ist der falsche Weg. Denn dann müssen
sich Unternehmen und Politik nicht mehr rechtfertigen für ihr
Handeln.
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