BERLINER MORGENPOST: Keine lässliche Sünde, sondern Recht und Gesetz – Leitartikel

Die Berliner Meisterprüfung im Fach Energie- und
Gebäudetechnik besteht aus vier Teilen, davon einem Meisterprojekt.
Das Projekt entspricht einem Kundenauftrag. Meisterkandidaten müssen
ihn ohne fremde Hilfe „entwerfen, berechnen, planen und kalkulieren,
die Leistung ausführen sowie ein Prüfprotokoll erstellen“. Was würde
man in Berlin sagen, wenn sich herausstellte, dass ein
Gebäudetechniker bei seiner Prüfung einfach die Berechnungen anderer
Handwerksmeister mitbenutzt hat? Wenn herauskäme, dass er Daten aus
einer fremden Arbeit kopiert und mit winzigen Änderungen seinem
Projekt beigefügt hat? Dass er womöglich nur deswegen den
Meisterbrief besitzt? Eine bayerische Doktorprüfung besteht aus drei
Teilen, aber im Kern gleicht sie der Berliner Meisterprüfung. Es
kommt vor allem darauf an, die Arbeit ohne fremde Hilfe zu schaffen.
Karl-Theodor zu Guttenberg hat Zweifel daran geweckt, dass seine
Doktorarbeit nur aus eigenen Gedanken besteht. Der Minister hat in
seinem Amt eine schwere Aufgabe zu bewältigen. Das wurde allen
Deutschen mit dem Anschlag am Freitagmorgen auf bittere Weise vor
Augen geführt. Guttenberg hat einen der härtesten Posten der
deutschen Politik auszufüllen, und tut es auf eine Weise, die viele
als bravourös empfinden. Dennoch ist die Aufregung um seine rund fünf
Jahre alte Doktorarbeit keine nur vorgeschobene Kritik, die ein
boshafter politischer Gegner für sich zu nutzen versucht. Die Fragen,
die Guttenbergs Doktorarbeit aufwirft, sind keine lässlichen
Randfragen. Es geht um die Achtung von Recht und Gesetz. Karl-Theodor
zu Guttenbergs Auftritt vom Freitag zeigte, dass er noch nicht die
Gefahr begriffen hat, die ihm und womöglich der ganzen CSU deshalb
droht. Seine Arbeit wird jetzt von der Universität Bayreuth geprüft,
die ihm mit höchsten Ehren den Doktor bestätigt hatte. Guttenberg
sagte, er wolle bis zum Ergebnis dieser Prüfung „vorübergehend, ich
betone, vorübergehend auf das Führen des Titels verzichten –
allerdings nur bis dahin. Anschließend werde ich ihn wieder führen.“
Wie kommt er zur Auffassung, die Prüfungskommission werde ihm
selbstverständlich den akademischen Grad belassen? Wie kann er
glauben, dass eine Universität, die seine Arbeit anscheinend
überhaupt nicht auf fremde Textteile geprüft hat, noch irgendwelche
Autorität hätte, jetzt einen Persilschein auszustellen? Die Beweise
für die Übernahme fremder Texte durch den Doktoranden Guttenberg sind
leider erdrückend. Die Rechtsfakultät der Universität Bayreuth hat
sich mit dem „summa cum laude“, dem „höchsten Lob“ für diese Arbeit
bis auf die Knochen blamiert. Guttenbergs Arbeit gehört zur
Gegenprüfung vor ein unabhängiges anderes Gremium. Die
Prüfungsordnung in Bayreuth beruht auf dem bayerischen
Hochschulgesetz. Es stammt von der CSU. Die Universität Bayreuth
wurde 1975 von einer CSU-Regierung gegründet. Der CSU-Chef Horst
Seehofer hat Guttenberg „erfunden“, wie er stolz sagte. Die
Doktorarbeit kann rasch ein Fall CSU werden. Karl-Theodor zu
Guttenberg braucht gute Argumente, um seine verantwortungsvolle
Arbeit als Minister nicht zu gefährden.

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