BERLINER MORGENPOST: Können wir noch Technik? Jochim Stoltenberg über das Scheitern deutscher Großkonzerne an S-Bahn, BER und anderen Großbaustellen

Das „S“ der über Jahre ausgehungerten Bahntochter
steht denn wohl auch weiterhin symbolisch eher für „Spät“-Bahn. Das
Berliner Nahverkehrssystem galt einst als eines der besten weltweit.
Daran glaubt seit Jahren keiner mehr, die S-Bahn hat ihren Nimbus als
verlässlicher Allwetter-Transporteur verloren. Und Besserung ist noch
immer nicht in Sicht. Das zumindest prognostiziert der
Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg. Das passt leider zu all den
anderen Bau- und Planungspannen in dieser Stadt. Einst galt Berlin
auch als Zentrum industriellen und technologischen
Erfindungsreichtums. Nicht nur theoretisch, auch praktisch
funktionierte, was bei Siemens oder Borsig erfunden wurde. Und so
fragt man sich: Was nur ist aus deutscher Wertarbeit geworden? Wie
verlässlich ist deutsche Technologie noch? Was können vermeintliche
deutsche Hightech-Unternehmen heute überhaupt noch? Fragen, die sich
nicht länger verdrängen lassen, seit sich Deutschland nicht allein in
Berlin mit technologischen Pleiten, Pech und Pannen blamiert. In
Wahrheit steht der gute Ruf des „Made in Germany“ auf dem Spiel.

Wenn Weltfirmen wie Bosch und Siemens noch immer keinen
verlässlichen Brandschutz am BER garantieren können, wenn sich auch
Millionen Touristen über ein ziemlich marodes S-Bahn-System ärgern;
wenn Opernfreunde aus aller Welt auf die Wiedereröffnung der
Staatsoper warten müssen, weil man bei den Bauarbeiten irgendwelche
Holzklötze im Boden unterschätzt hat; oder wenn am erst vor ein paar
Jahren grundsanierten Bahnhof Friedrichstraße Betonbrocken aus der
Decke fallen – dann ist das Pfusch. Oder technologische
Überforderung, die keineswegs mehr allein berlintypisch ist. In
Hamburg ist die großmannssüchtige Elbphilharmonie zur Millionenposse
geworden. In Stuttgart wirft der Milliarden verschlingende neue
Bahnhof immer neue technische und finanzielle Probleme auf. Das
Weltunternehmen Siemens kann der Deutschen Bahn keine verlässlich
funktionierenden, aber dringend benötigten neuen ICE-Züge liefern.
Und selbst die, die fahren, haben offenkundige Macken. Vor ein paar
Tagen wurden Reisende im ICE von Berlin nach Köln gar von einer
bislang einmaligen Durchsage überrascht: „Entschuldigung, wir haben
uns verfahren …“

Allem technischen Fortschritt und aller Elektronik und
Digitalisierung zum Trotz: Manches, hat man das Gefühl, war „einst“
verlässlicher im Gebrauch. Und so bleibt uns wohl nur noch eine
Chance, alles wiedergutzumachen. Es der ganzen Welt doch noch einmal
zu zeigen. Wozu dieses Land fähig ist. Was in ihm steckt.
Technologisch natürlich. Als erstes und bislang einziges
Industrieland der Welt wollen wir unsere Atomkraftwerke abschalten
und voll auf saubere, vorwiegend alternative Energiequellen setzen.
Das ist eine gewaltige technologische und finanzielle
Herausforderung. Die Welt betrachtet dieses Experiment mit Spannung.
Können wir sie überzeugen, dass wir es können, sind alle Zweifel an
deutscher Ingenieurkunst schnell vergessen. Schon deshalb muss die
Energiewende gelingen.

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