Kurzform: Jedem in Berlin muss klar sein: Nach
Spandau oder Köpenick kann man den einen oder anderen Besucher
locken, aber die Masse wird sich nicht auf den Weg in die
Außenbezirke machen. Das ist in Berlin nicht anders als in Paris oder
Barcelona. In den Szenekiezen brauchen die Anwohner etwas anderes:
klare Regelungen zur Nachtruhe bei Kneipen und Restaurants, Kontrolle
dieser durch die Ordnungsämter, mehr Einsätze der Berliner
Stadtreinigung, Verbot neuer Kneipen oder Hotels. Und sie selbst
müssen einsehen, dass sie die Zeit nicht zurückdrehen können. So
schmerzhaft der Wandel für sie persönlich auch ist.
Der vollständige Leitartikel: Zuerst war die Euphorie groß: Nach
dem Fall der Mauer sind in den letzten, fast drei Jahrzehnten immer
mehr Menschen aus aller Welt nach Berlin geströmt. Viele von ihnen,
um zu bleiben, wesentlich mehr aber, um sich als Tourist die Stadt zu
erobern. Und weil Berlin so unfertig war, weil es ständig etwas Neues
zu entdecken gab und bis heute gibt, kommen viele Besucher nicht nur
einmal, sondern eben mehrmals nach Berlin. Darauf waren – und sind –
die Berliner stolz, der Senat natürlich auch, und die Berlin-Werber
von der Tourismusgesellschaft „Visit Berlin“ freuen sich jedes Jahr
über neue Rekordzahlen. Derzeit sind wir bei zwölf Millionen
Besuchern im Jahr – und rund 31 Millionen Übernachtungen –
angekommen. Das ist gut so, denn Berlin, vor allem die Wirtschaft,
braucht die Touristen. Doch auf Euphorie folgt bekanntlich der
Katzenjammer. Denn natürlich ist es eine Belastung für die Stadt,
wenn immer mehr Touristen an die Spree kommen. So veränderten sich
schon unmittelbar nach dem Fall der Mauer ganze Straßenzüge, weil
eine Kneipe neben der anderen entstand, zwischendrin vielleicht noch
ein Hostel oder ein Späti, damit die jungen Touristen rund um die Uhr
ihre Getränke und Zigaretten kaufen können. Besonders eindrucksvoll
war das schon Mitte der 90er-Jahre an der Simon-Dach-Straße und den
umliegenden Straßen in Friedrichshain zu beobachten; in den letzten
Jahren hat sich die Situation rund um das RAW-Gelände an der Revaler
Straße und an der Warschauer Brücke dramatisch verschlechtert. Der
Tourismus, der sich dort etabliert hat, ist eben kein schöner,
sondern geprägt von Alkohol, Drogenkonsum, Lärm und Dreck –
einhergehend mit einer hohen Kriminalitätsrate. Ich wundere mich
deshalb nicht, wenn Anwohner nun klagen: „Wir wollen unseren Kiez
zurückhaben.“ Nur: Das wird sich so kaum realisieren lassen. Die
Probleme, die in Berlin mit dem wachsenden Tourismuszahlen entstanden
sind, betreffen vor allem die Innenstadt-Bezirke. Auch dort muss man
Unterschiede machen: In der City West geht es meist gesittet zu, in
Mitte, Prenzlauer Berg, Kreuzberg und Friedrichshain ist nicht oder
zu spät steuernd eingegriffen worden – was die Genehmigung von
Kneipen, Hostels oder Ferienwohnungen betrifft. Da sind viele Fehler
gemacht worden, zum Beispiel wurden Kontrollen von zig
Ferienwohnungen in Wohnblöcken nicht sichergestellt. Den Anwohnern
wäre schon sehr geholfen, wenn sich eben nicht Kneipe an Kneipe
reihen würde, wenn die Zahl der Hostels nicht grenzenlos wachsen
würde. Wer aber glaubt, sein Szenekiez werde wieder so wie früher,
der irrt. Ein Beispiel nur: Der Mauerpark in Prenzlauer Berg – das
war Anfang der 90er-Jahre wirklich ein Park; da konnte man am
Wochenende hingehen und fand seinen Platz auf der Wiese, man konnte
in Ruhe lesen oder einfach nur in der Sonne sitzen. Vorbei – heute
kommen an einem sonnigen Wochenende bis zu 40.000 Menschen in den
Mauerpark. Jedem in Berlin muss klar sein: Nach Spandau oder Köpenick
kann man den einen oder anderen Besucher locken, aber die Masse wird
sich nicht auf den Weg in die Außenbezirke machen. Das ist in Berlin
nicht anders als in Paris oder Barcelona. In den Szenekiezen brauchen
die Anwohner etwas anderes: klare Regelungen zur Nachtruhe bei
Kneipen und Restaurants, Kontrolle dieser durch die Ordnungsämter,
mehr Einsätze der Berliner Stadtreinigung, Verbot neuer Kneipen oder
Hotels. Und sie selbst müssen einsehen, dass sie die Zeit nicht
zurückdrehen können. So schmerzhaft der Wandel für sie persönlich
auch ist.
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