DER STANDARD-KOMMENTAR „Abgehoben in der Neosphäre“ von Michael Völker

In vielen Gesprächen politisch interessierter
Menschen werden derzeit die Neos als mögliche Alternative diskutiert
und hinterfragt. Die Unzufriedenheit mit den anderen Parteien ist so
massiv, dass das Antreten einer neuen politischen Gruppe, die auf
den ersten Blick halbwegs ernst zu nehmen ist, grundsätzlich positiv,
fast sehnsüchtig aufgenommen wird. Vor allem jene Bürger, die das
Liberale Forum zwar längst nicht mehr gewählt haben, aber immer noch
vermissen, schauen da genauer hin. Seit Neos und die Überbleibsel des
LIF tatsächlich ein Wahlbündnis geschlossen haben, ist auch
ausreichend öffentliche Aufmerksamkeit vorhanden. Sind die Neos
tatsächlich ernst zu nehmen? Sie vermitteln einen dynamischen
Eindruck, immerhin. Sie berufen sich auf das Unwohlsein so vieler
Bürger, die die Lähmung, die Lethargie, die Oberflächlichkeit und
auch die Niveaulosigkeit des derzeitigen politischen Establishments
satthaben. Ein bisschen Wutbürger ist dabei, ein bisschen Mutbürger.
Parteichef Matthias Strolz kann sich artikulieren, er hat ein
Sendungsbewusstsein, das hart ans Querulative und ans
Wichtigmacher-Syndrom heranreicht. Für die notwendige Beharrlichkeit
und die zu überwindende Frustrationsschwelle im Tagesgeschäft sind
das gute Voraussetzungen. Dass es ein nahezu widerspruchsloses
Zusammengehen mit dem Liberalen Forum gab, spricht für soziale
Intelligenz und eine erwachsene Kommunikationsbefähigung, die nicht
unbedingt selbstverständlich ist. Negatives Gegenbeispiel sind die
Piraten, die zwar über Sendungsbewusstsein verfügen, sich aber
generell in internen Auseinandersetzungen aufreiben, ehe sie ins
Argumentative geraten. Der Begriff liberal ist Auslegungssache, passt
aber in mancher Hinsicht auf die Neos. Eigenverantwortung ist ein
zentraler Begriff. Auch neoliberal ist als Punzierung nicht ganz
falsch. Mit ihrer Positionierung als „Vertreter der Nettozahler“
schmiegt sich die neue Partei an eine recht elitäre und kleine
Bevölkerungsgruppe an. Die Forderungen nach einer kräftigen
Steuersenkung, nach Abschaffung der Pensionsprivilegien, einer
Verschlankung des Staates und weiteren „klugen“ Privatisierungen hat
man woanders auch schon gehört. Bei der ÖVP etwa. Bei den Neos mag
manches frischer klingen und aufgrund des aufgeregten Enthusiasmus,
der im Eifer der ersten Bühnenerfahrung an den Tag gelegt wird, mit
mehr Glaubwürdigkeit versehen sein. Hier wird mit Eifer gearbeitet,
nicht mit der gelangweilten Routine der anderen Parteien, die sich
auf dem politischen Parkett personell und inhaltlich verschlissen
haben. Die Neos sind aufgeschlossen, aber auch konservativ, man nennt
das gerne wertekonservativ. Ob man gleichgeschlechtlichen Paaren
gleiche Rechte zugestehen will, muss erst ausdiskutiert werden. Eher
nicht, wie es ausschaut. Da sind die neuen Freunde vom Liberalen
Forum einen Schritt weiter. Damit keine Missverständnisse entstehen:
Mit linkem Gesocks hat man bei den Neos nichts am Hut, man grüßt sich
freundlich, bestenfalls. Es tut der Politik fraglos gut, wenn sich
engagierte und beseelte Menschen einbringen und das System verändern
wollen. Auch die Grünen könnten sich an dieser Konkurrenz erfrischen
– und sympathischer als das Stronach?sche Politikershopping ist der
Auftritt der Neos sowieso. Das Wahlziel von zehn Prozent ist
allerdings – wie einiges im Wahlprogramm – aufgeblasen und abgehoben.

Rückfragehinweis:
Der Standard
Tel.: (01) 531 70 DW 445

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