DER STANDARD-KOMMENTAR „Perverse Pauschale“ von Gerald John

Für sie zerdrücken Politiker gern ein paar
Krokodilstränen: Schießen die Benzinpreise in den smogverhangenen
Himmel, entdecken Volksvertreter ihr Herz für die Pendler. Im Namen
der motorisierten Arbeitsreisenden haben Regierungen Sparpakete
aufgeschnürt und Unbill wie eine Pkw-Maut abgewendet.
Eine wohlbehütete Zielgruppe also? Ein Teil der Pendler hat
tatsächlich wenig zu klagen. Wer etwa ordentliche 3000 Euro brutto im
Monat verdient, dem kann die vom Staat als Ausgleich für Fahrtkosten
gewährte Pauschale bei langer Wegstrecke knapp 1600 Euro im Jahr
bringen. Blöd erwischt haben es hingegen jene, die wirklich jeden
Euro zweimal umdrehen müssen. Sie kommen mitunter nicht einmal auf
ein Drittel der Summe der Gutsituierten – soziale Staffelung
andersrum.
Möglich macht das die perverse Konstruktion der Pendlerpauschale:
Weil sie als Freibetrag die Steuergrundlage verringert, steigt der
Vorteil mit dem Einkommen. Schlechtverdiener, die wenig oder keine
Steuern zahlen, sind dabei die Angeschmierten.
Dieses falsch verteilte Steuerzuckerl führt nicht nur das Gerede von
„Steuergerechtigkeit“ (SPÖ) und „Treffsicherheit“ (ÖVP) ad absurdum,
sondern ist auch aus ökologischer Sicht widersinnig. Die vielen
wohlbestallten Pendler – ein Drittel der Bezieher freut sich über
Einkommen von mehr als 40.000 Euro brutto im Jahr – sind ja keine
südburgenländischen Bauhackler oder obersteirischen
Handelsangestellte, sondern haben sich ihr Domizil in der
arbeitsplatzarmen Einschicht oft freiwillig ausgesucht. In den
Speckgürteln der Städte leben sie den Traum vom Eigenheim im Grünen,
während die Allgemeinheit unter schädlichen Folgen von hohen
Infrastrukturkosten bis zum Verkehrsstau leidet – und die um sich
greifende Zersiedelung auch noch mit Steuerrabatten fördert.
Dennoch haben Regierungen, wenn die Pendlerpauschale angetastet
wurde, stets nur eines getan: einfach noch ein bisserl mehr Geld
draufgelegt. Dass SPÖ und ÖVP nun endlich eine soziale Staffelung –
diesmal in die richtige Richtung – anvisieren, sollte Anlass für eine
weitreichende Reform sein, die Fördergelder von den Straßenbenutzern
zu den Öffi-Fahrern umschichtet.
Warum nicht gleich ganz weg mit der Pendlerpauschale, die den
klimafeindlichen Griff zum Zündschlüssel ermutigt? Solange in viele
Täler nur Bummelzüge und -busse in Stundenintervallen zuckeln, wäre
es zynisch, allen berufsbedingten Autofahrern ein „Pech gehabt“
zuzurufen. Die Speckgürtel-Idylle ist eben nur ein Teil der
Pendlerwahrheit. Genauso setzen sich viele Menschen nur deshalb
täglich hinters Lenkrad, weil es in ihren „strukturschwachen“
Landgebieten einfach keine Jobs gibt. Bei aller Notwendigkeit, Bürger
zu umweltfreundlichen Gewohnheiten zu erziehen: Ein pauschales Aus
für die Pendlerpauschale mag ökologischen Profit bringen, provoziert
jedoch hohe Nebenkosten in Form von Arbeitslosen, Sozialfällen und
Abwanderung.
Jene 40 Prozent der Pendler aber, deren Arbeitsweg unter 20 Kilometer
beträgt, sollten sich zum Gutteil mit entsprechenden Angeboten und
Anreizen zum Umstieg auf Bus und Bahn bewegen lassen; die aktuelle
Pauschale belohnt auf Kurzdistanz paradoxerweise Autofahrer, während
Öffi-Benutzer leer ausgehen. Wen trotz zumutbarer Verbindung der
Bleifuß juckt, soll sich den Spaß gefälligst selber zahlen.

Rückfragehinweis:
Der Standard
Tel.: (01) 531 70 DW 445

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