DER STANDARD-Kommentar „Wider die National-Untugend Neid“ von Conrad Seidl

Dass Frauen für gleichwertige Arbeit weniger bezahlt
bekommen als Männer, ist eine der zentralen
Ungerechtigkeitsvermutungen unserer Gesellschaft. Gestützt wird sie
durch zahlreiche Studien, die die Ungleichbehandlung in Prozentwerten
darzustellen versuchen.
Dass diese Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, darf man
ihnen nicht vorwerfen: Sie stützen sich ja alle auf eine sehr
unsichere Datenlage. Denn in Österreich wird ein besonders großes
Geheimnis daraus gemacht, wie hoch das eigene Einkommen ist. Da geht
Datenschutz über alles.
Wenn Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek nun darauf drängt, die
Einkommen wenigstens innerbetrieblich transparenter zu machen, rührt
sie an einem österreichischen Tabu – und ganz verlässlich treten die
Vertreter der Wirtschaft auf den Plan, um die Tradition von
Mauschelei und Geheimniskrämerei zu verteidigen.
Dabei ist der Vorschlag der Ministerin ohnehin sehr bescheiden: Sie
will anonymisierte Vergleiche nach Verwendungsgruppen – damit Frauen
selbst einschätzen können, ob und wie sehr sie unter jenem Wert
bezahlt werden, der für männliche Kollegen ausbezahlt wird.
Ob das ausreicht, muss bezweifelt werden:_Es geht ja nicht um
irgendwelche Durchschnittswerte, sondern um konkrete Leistungen an
konkreten Arbeitsplätzen – und um die konkrete Bezahlung dieser
Leistung an konkrete Personen.
Der ÖGB war in dieser Hinsicht schon einmal mutiger: Vor 17 Jahren
hat der damalige Präsident Fritz Verzetnitsch – selbst gelegentlich
Zielscheibe von Privilegien-Vorwürfen – vorgeschlagen, man solle am
besten alle Einkommenssteuerbescheide offenlegen. Applaus bekam er
damals nur von den Grünen und vom linken Flügel der SPÖ.
Passiert ist nichts.
Die Argumente gegen eine Transparenz aller Einkommen waren damals wie
heute dieselben: Wenn jeder von jedem anderen wüsste, was er oder sie
verdient, gäbe es unnötigen Neid. Das wäre zweifellos der Fall, wenn
die Einkommen wirklich ungerecht verteilt wären.
Aber das wird von den Vertretern der Wirtschaft ohnehin bestritten.
Und wenn es doch vorkommt, dann kann man die Unterschiede zwischen
den Einkommen von Herrn Geschäftsführer X und Frau Abteilungsleiterin
Y entweder sachlich begründen oder eben abbauen.
Ja, sicher: Dann würde auch offensichtlich, um wie viel ein
Generaldirektor mehr verdient als eine Supermarktkassierin. Man
könnte überblicken, wie wenig Berufsanfänger bekommen, und könnte
ermessen, ob die Klage über die angeblich so teuren älteren
Arbeitnehmer durch deren individuelle Einkommen belegbar ist.
Das ist allemal besser als die gegenwärtige Situation: Am schlimmsten
ist der Neid ja dann, wenn man nicht genau weiß, was man eigentlich
neidet.
Schon der Verdacht, dass der Nachbar zu viel bekommen haben könnte,
schürt Missgunst; gibt es dafür dann auch noch Indizien, steigt der
Neid ins Unermessliche. Wird die Frage aber sachlich geklärt,
verliert der Neid die Grundlage. Wenn alle Einkommen und sonstigen
Zuwendungen offenlägen, könnte man emotionslos darüber reden. Man
könnte Ungleichheiten abstellen (oder müsste sie stichhaltig
begründen), nicht nur die zwischen Männern und Frauen – und die
National-Untugend Neid endlich ablegen.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

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