Allein in Deutschland leben etwa vier Millionen
Menschen mit einer seltenen Erkrankung – Anlass genug für den
Deutschen Ethikrat, am gestrigen Mittwoch mit über 200 Gästen die
Situation der Erkrankten und ihrer Angehörigen in den Blick zu nehmen
und darüber zu diskutieren, wie ihre Bedürfnisse im Gesundheitswesen
besser berücksichtigt werden können.
Eine Erkrankung gilt als selten, wenn nicht mehr als fünf von
10.000 Menschen davon betroffen sind. Menschen mit einer seltenen
Erkrankung sehen sich mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert:
falsche oder verspätete Diagnosestellung, Mangel an Information und
praktischer Unterstützung im Alltag, psychische Belastung durch die
Isolation und eine schlechte Versorgung mit qualifizierten
Facheinrichtungen. Strukturelle, medizinische und ökonomische Gründe
erschweren sowohl die medizinische Versorgung der Betroffenen als
auch die Forschung zur Verbesserung von Diagnose und Therapie.
„Die Herausforderung besteht darin, effektiv und gerecht alle
Menschen mit ihren komplexen seltenen Krankheiten zu unterstützen und
ihnen adäquate Therapien und Symptombehandlungen zukommen zu lassen“,
sagte der Ratsvorsitzende Peter Dabrock zu Beginn der Veranstaltung.
Ratsmitglied Stephan Kruip, selbst von einer seltenen Erkrankung
betroffen, schilderte in seiner Einführung anschaulich die
Schwierigkeiten, mit denen Menschen mit seltenen Erkrankungen
konfrontiert sind. Er fragte, wie die berechtigten Ansprüche der
Menschen mit seltenen Erkrankungen innerhalb der strukturellen und
ökonomischen Grenzen des Gesundheitswesens realisiert werden können.
Antje Behring vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) stellte die
Regularien vor, auf deren Grundlage der G-BA über die Erstattung der
Kosten für die Behandlung von seltenen Erkrankungen entscheidet.
Arzneimittel für seltene Erkrankungen (Orphan Drugs) können in
Deutschland in einem vereinfachten Verfahren zugelassen werden.
Fehlende „Leitplanken“ und „Obergrenzen“ für Preise hätten allerdings
dazu geführt, dass die Jahrestherapiekosten für Orphan Drugs stark
angestiegen seien. An dieser Stelle müsse deutlich nachgebessert
werden. Außerdem müsse der Nutzen der ambulanten
spezialfachärztlichen Versorgung für die Diagnostik und Behandlung
seltener Erkrankungen empirisch untersucht werden.
Daniel Strech von der Medizinischen Hochschule Hannover referierte
zu den ethischen Herausforderungen seltener Erkrankungen. Strech
zufolge bestehe zwar ein breiter Konsens darüber, dass eine
solidarische Gesellschaft allen Mitgliedern eine faire Chance auf
Behandlung einräumen müsse und eine vereinfachte Regulierung bei der
Zulassung von Medikamenten für seltene Erkrankungen wünschenswert
sei. Die Diskussion werde aber kontrovers, sobald es um
Real-Life-Entscheidungen zu Allokations- und Anreizfragen gehe – etwa
bezüglich einer fairen Verteilung finanzieller Ressourcen für
Versorgungsangebote und Forschungsprogramme oder der Frage, ob die
vereinfachte Zulassung von Orphan Drugs tatsächlich hilft,
Arzneimittel bereitzustellen, die einen relevanten Mehrwert für die
Betroffenen haben.
In der folgenden, von Ratsmitglied Elisabeth Steinhagen-Thiessen
moderierten Podiumsdiskussion erörterten die beiden Referenten
gemeinsam mit Jörg Richstein von der Allianz Chronischer Seltener
Erkrankungen e. V. und Sabine Sydow vom Verband Forschender
Arzneimittelhersteller (vfa bio), was zu tun sei, um Menschen mit
seltenen Erkrankungen künftig eine optimale Diagnostik und Therapie
anbieten zu können. In der für das Publikum offenen Diskussion wurden
verschiedene Lösungsansätze zusammengetragen: Sie reichten von mehr
Transparenz durch neue Strukturen zur Information der Betroffenen
über eine bessere Einbindung von Selbsthilfegruppen bei der
Erarbeitung von Versorgungskonzepten bis hin zur Ausweitung
klinischer Studien und der Förderung von Registern für seltene
Erkrankungen.
Dieses Forum Bioethik, so resümierte Peter Dabrock die lebhafte
Diskussion, habe vielen betroffenen Personen eine Chance geboten,
ihre Situation und die damit verbundenen Herausforderungen deutlich
zu machen. Wichtig sei es, Lösungen zu entwickeln, die den von einer
seltenen Erkrankung betroffenen Menschen in den Mittelpunkt stellen.
Weitere Informationen zur Veranstaltung finden sich unter
http://ots.de/sGUTIB.
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Deutscher Ethikrat
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