Mittelbayerische Zeitung: Die Ukraine ist größer als ein Platz

Von Ulrich Heyden

Über mangelnde Solidaritätsbekundungen westlicher Politiker können
sich die Platzbesetzer in Kiew nicht beklagen. Wer hat nicht alles
auf dem Maidan Hände geschüttelt und Grußworte gesprochen: Der
ehemalige polnische Regierungschef Jaroslaw Kaczyinski von der
konservativen Partei PiS, der amtierende deutsche Außenminister Guido
Westerwelle, der ehemalige georgische Präsident Michail Saakaschwili,
der gegen Russland 2008 schon einen Krieg führte, und die
EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton. Am Mittwoch verteilte dann auch
noch die Sprecherin des Weißen Hauses, Victoria Nuland, auf dem
Maidan Brot und Kekse an Demonstranten und ein paar hungrige
Polizisten. Über die Besuche westlicher Politiker auf dem Maidan
berichtet das russische Fernsehen entweder mit einem grollendem (bei
Nuland), einem süffisanten (bei Saakaschwili) oder einem lakonischen
(bei Westerwelle) Unterton. Tatsächlich stellt sich die Frage, warum
westliche Politiker vor laufenden Fernsehkameras mit ukrainischen
Oppositionsführern über einen Platz laufen, der unerlaubt besetzt
wurde. Aus russischer Sicht ist das einseitige Parteinahme mit einem
Nachbarland, mit sich Russland kulturell und wirtschaftlich eng
verbunden fühlt. Dass dieses Nachbarland über eine EU-Assoziierung
später dann auch in die Nato gelangen könnte, möchte Russland auf
jeden Fall verhindern. Dass das amerikanische Raketenabwehrsystem,
das angeblich nur gegen Nord-Korea gerichtet ist, von dem sich
Russland aber bedroht fühlt, auch in Polen und Rumänien stationiert
wird, ist für Moskau schon Alptraum genug. Nach Meinungsumfragen sind
41 Prozent der Ukrainer für den Assoziierungsvertrag mit der EU und
31 Prozent für den Eintritt der Ukraine in die Zollunion mit
Russland. Die Befürworter der Zollunion leben vor allem im Gebiet
Odessa, auf der Krim und in den ostukrainischen Städten Donezk,
Dnjepropetrowsk und Charkow. Dort gehen jeweils nur ein paar Hundert
Menschen für die EU-Assoziation auf die Straße, weil ihre
Arbeitsplätze im Maschinen- und Waggonbau vom Export nach Russland
abhängen. Die Menschen dort bleiben auch zu Hause, weil ihnen die
Radikalität mancher Maidan-Demonstranten mit schwarz-roten Fahnen der
Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) unheimlich ist. Die UPA
kämpfte 1942 an der Seite der deutschen Wehrmacht und war auch an
Massakern gegen ukrainische Juden beteiligt. Auf dem Maidan stark
vertreten ist die Partei Swoboda, die im letzten Jahr mit
sensationellen zehn Prozent der Stimmen in die Werchowna Rada einzog.
Diese rechtsradikale Partei nutzt die soziale Notlage der Menschen
und gibt sich als Anwalt der kleinen Leute. Gleichzeitig setzt sie
sich dafür ein, dass an den Schulen nur noch Ukrainisch unterrichtet
und der Staatsapparat von „russischen Agenten“ gesäubert wird. Der
Parteivorsitzende Oleg Tjagnibok hetzte 2004 in einer Rede gegen die
„jüdische Moskauer Mafia“, welche angeblich die Ukraine regiert. Für
den Sieger der orangefarbenen Revolution, den damaligen Präsidenten
Viktor Janukowitsch, war das ein Grund, Tjagnibok aus seiner
Wahlkoalition auszuschließen. Gefährlich ist auch die rechtsradikale
Partei Bratstwo (Brüderschaft) die am 1. Dezember mit 300 Mann, einem
Schaufellader und Stahlkette versuchte durch Polizeiketten zu
brechen, die die Präsidialverwaltung in Kiew schützten. Zu den
Bratstwo-Gründern gehören Leute, die als Freiwillige im
Tschetschenien- und Georgien-Krieg gegen russische Truppen kämpften.
Es wird deshalb Zeit, dass Europa in der Ukraine die Kräfte des
Dialogs unterstützt und sich von Zündlern, wie Oleg Tjagnibok und
dessen militantem Fußvolk, öffentlich abgrenzt. Wer sich demonstrativ
auf die Seite der Demonstranten stellt, droht seine Rolle als
Vermittler aufs Spiel zu setzen.

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