Stellen Sie sich vor, es ist Wahlkampf und Sie
haben kein Thema: So oder so ähnlich könnte es SPD-Chef Sigmar
Gabriel gegangen sein, als er sich an die Arbeit zu seinem
Rentenkonzept gemacht hatte. Denn, so viel ist sicher: Womit soll,
womit kann die SPD derzeit bei den Wählern punkten? Mit einer
Dauerkritik am Krisenmanagement der Kanzlerin, das bislang dazu
geführt hat, dass Deutschland (zumindest noch) blendend dasteht,
sicher nicht. Also die Rente. Dumm nur, dass die
Kanzerlerinnen-Partei hier mit der SPD frei nach dem Motto des
Märchens vom Hasen und vom Igel verfährt: „Ich bin schon hier.“
Freilich: Inhaltlich gibt es entscheidende Unterschiede zwischen den
Konzepten von Ursula von der Leyen und Sigmar Gabriel. Und das Modell
der Arbeitsministerin gilt in der eigenen Partei als chancenlos, weil
selbst die Kanzlerin sich davon distanziert hat. Das aber musste sie.
Wie immer hat Merkel zuerst andere vorgeschickt, um ein Thema zu
setzen. Um dann auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Der fährt zwar
anders, als es von der Leyen geplant hatte. Aber er fährt. Und sie
hat der Union eine Fahrkarte gekauft. Es ist schon lange kein
Geheimnis mehr, dass SPD-Chef Gabriel zum Herbst mit einem
Rentenkonzept punkten will. Schließlich will auch er als einer von
drei möglichen Kandidaten für die Kanzlerschaft in seiner Partei
wahrgenommen werden. Neben dem eingangs erwähnten Punkt, dass die SPD
sonst mit reichlich leeren Händen vor den Wähler getreten wäre, ist
die Profilierung des Parteichefs mit der Grund für das Rentenkonzept,
das selbst in seiner eigenen Partei nicht unumstritten ist. Gabriel
setzt sich nicht einer internen Debatte aus, ohne sich Vorteile zu
erhoffen. Nicht zufällig also hat die CDU-Arbeitsministerin noch vor
dem SPD-Chef ihr Rentenkonzept präsentiert. Sie wird das nicht ohne
Rücksprache mit Merkel getan haben. Soloauftritte hat diese in ihrem
Kabinett bislang nicht geduldet. In der One-Woman-Show der CDU
ohnehin nicht. Dass das Konzept der CDU-Arbeitsministerin Punkte
enthalten wird, die unions- und koalitionsintern auf heftigen
Widerstand treffen: geschenkt. Dass sie hartnäckig bleiben wird: umso
besser. Schließlich wird der politische Gegner das Thema weiter
beackern. Wobei sich die Frage aufdrängt, wer das eigentlich ist.
Nicht nur Gabriel dürfte sich verwundert die Augen gerieben haben,
als er vom Lob von der Leyens für seine Vorschläge gelesen hatte.
Kein Wunder auch, dass die FDP vor Wut schäumt, laufen doch sowohl
die Pläne des SPD-Chefs als auch die der Sozialministerin den
Vorstellungen der Liberalen von mehr privater Altersvorsorge völlig
entgegen. Die Vorwürfe, von der Leyens Konzept und ihr Lob an Sigmar
Gabriel seien nichts anderes als die Vorbereitung einer großen
Koalition nach der Wahl im kommenden Jahr, sind dabei nicht völlig
aus der Luft gegriffen. Die Umfragen sprechen derzeit gegen eine
Wiederauflage von Schwarz-Gelb. Da schadet es nicht, wenn im Vorfeld
Andockmöglichkeiten für andere Koalitionspartner geschaffen werden.
Dass sich von der Leyen zudem selbst als mögliche Kanzlerin einer
großen Koalition ins Gespräch bringt, dürfte ihr gefallen; der
Kanzlerin weniger. Aber von der Leyen weiß, dass sie gegen Merkel
keine Chance hat. Und die Unions-Chefin weiß um den Wert ihrer
Ministerin. Beides gilt aber nur bis auf Weiteres. Und selbst wenn
die Vorschläge von Gabriel und von der Leyen vor allem dem eigenen
Profil dienen, so hat die Debatte ein Gutes: Sie rückt ein drängendes
Thema in den Vordergrund, das viel zu lange im Schatten der
Euro-Schuldenkrise ein tristes Dasein gefristet hat. Und das über die
Parteigrenzen hinaus.
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