Die letzten beißen die Hunde: Es ist eine
bittere Ironie, dass der gestrige Einberufungstermin für die
Wehrpflichtigen ein Gefühl von Ungerechtigkeit hervorruft. Zumindest
die jungen Männer, die gegen ihren Willen zur Bundeswehr eingezogen
wurden, werden sich fragen, warum es so kurz vor Torschluss
ausgerechnet sie erwischen musste. Zum nächsten Termin in zwei
Monaten werden nämlich nur noch Freiwillige genommen.
Symbolträchtiger hätte dieser 3. Januar nicht ausfallen können, der
den endgültigen Abschied von der Wehrpflicht markiert. Denn seit
Jahren existiert die Wehrgerechtigkeit nur noch auf dem Papier. Und
seit langem ist die Bundeswehr eine Zwei-Klassen-Armee: Einerseits
hervorragend ausgebildete Berufs- und Zeitsoldaten für gefährliche
Auslandseinsätze – andererseits Wehrpflichtige, die zwischen
Geländeübungen und Spindaufräumen schon mal an der Sinnhaftigkeit
ihrer Ausbildung zweifeln. Und darüber ein bürokratischer Wasserkopf
mit verwirrenden Zuständigkeiten. Dass die Bundeswehr in diesen
Punkten reformbedürftig ist, wird niemand bestreiten. Doch wie
Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg die historische
Zäsur für die Armee im Eiltempo durchpaukte, wirft gewaltige
Fragezeichen auf. Zunächst bei der Bundeswehr selbst: Für die
Ausmusterung der Wehrpflicht mag es zuletzt plausible Gründe gegeben
haben. Dennoch überrascht es, wie schnell die Union das Thema
preisgab, das zuvor als unverhandelbar galt. Immerhin war die
Wehrpflicht fünf Jahrzehnte lang ein Erfolgsmodell. Sie fungierte als
sichtbares Zeichen dafür, dass die Armee fest in der Gesellschaft
verankert ist. Sie war ein Garant dafür, dass sich kein Staat im
Staate mehr bilden konnte. Und sie gewährleistete die Durchlässigkeit
der Bundeswehr für junge Männer aus allen Berufen und Schichten. Das
könnte sich in einer reinen Freiwilligenarmee schnell ändern, wenn
verstärkt perspektivlose Jugendliche ihr Heil beim Militär suchen. Im
schlimmsten Fall droht uns dann eine Unterschichtenarmee. Mit seinem
Vorstoß überrumpelte Guttenberg Freund und Feind. Für den schnellen
Erfolg, sich als effizienter Sparminister profilieren zu können,
opferte er mit der Wehrpflicht einen Markenkern der Union. Und
pikanterweise übernahm er damit auch noch eine Kernforderung von
Grünen – und FDP. Das werden die Kollegen aus CDU und CSU dem
Polit-Star unter die Nase reiben, wenn er einst für höhere Aufgaben
gehandelt wird. Guttenberg bleibt bei seinen Reformplänen
entscheidende Antworten schuldig. Es steht völlig in den Sternen, ob
der Staat ohne Wehrpflichtige überhaupt Geld sparen kann. Nicht nur,
weil Berufssoldaten wesentlich teurer sind. Spätestens, wenn in
wenigen Monaten das Zivildienstsystem zusammenbricht, das an die
Wehrpflicht gekoppelt ist, könnte sich die Bundeswehrreform als
teurer Irrtum entpuppen. Denn den Kandidaten für den
Bundesfreiwilligendienst wird man für die Pflege und Betreuung von
Alten, Kranken und Behinderten weit bessere Anreize bieten müssen als
das bislang veranschlagte Taschengeld. Zum riskantesten Manöver wird
für den Minister die Schrumpfkur für die Truppe. Bisher steht
Guttenbergs großes Streichkonzert nur auf dem Papier. Er will die
Zahl der Soldaten deutlich verringern, schweigt sich aber aus, welche
Standorte zusperren sollen. Guttenberg wird wegen der anstehenden
Kasernenschließungen noch viele politische Schlachten gewinnen müssen
– mit Ministerpräsidenten genauso wie mit Bürgermeistern und wütenden
Bundeswehrangehörigen – quer durch die Republik. Sie werden ihm nicht
so schnell verzeihen, wenn es ausgerechnet sie treffen wird.
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