Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein: Freie
Fahrt für freie Bürger, endlich. Der Spruch stammt aus dem Jahr 1974,
ein Slogan des ADAC im Kampf gegen Tempo-100-Limits auf Autobahnen
während der Ölkrise. Der Autoclub hat sich damit selbst unter den
eigenen Mitgliedern keineswegs nur Freunde gemacht. Nun versucht es
die Bundesregierung mit einer Idee, die diesem geflügelten Spruch
recht nahe kommt: freie Fahrt im öffentlichen Nahverkehr. Das ist
nicht ganz neu, aber nach wie vor eine spannende Vision. Eine
verführerische Idee. Mehr leider – zumindest noch – nicht, so wie sie
jetzt geboren worden ist. Eher eine Nebelkerze. Denn der Zeitpunkt,
zu dem sie vorgelegt wurde, legt nahe, dass sie lediglich die
EU-Kommission dazu verführen soll, von einer Klage gegen Deutschland
wegen versäumter Maßnahmen zur Reinhaltung von Luft abzusehen.
Bislang gibt es nicht viel mehr als einen Brief dreier Minister. Viel
glaubwürdiger wäre es gewesen, wenn etwas davon im Koalitionsvertrag
stünde. Tut es aber nicht. Ein Vorteil wäre, dass man die mitunter
schwer zu begreifenden Tarife so mancher kommunaler Betriebe endlich
vergessen könnte. Auch dürfte eine solche Maßnahme schneller mehr
Menschen vom Auto in die Busse und Bahnen locken. Weniger Staus,
bessere Luft, weniger Lärm – alles, was sich geplagte Anwohner
wünschen, rückte näher in Reichweite. Das sind zentrale Ziele, um
unsere Städte, in denen sich ein wachsender Teil der deutschen
Bevölkerung konzentriert, lebenswerter zu machen. Aber kostenlose
Tickets wären höchstens die halbe Miete. Vernünftiger wäre es, die
Tickets günstiger als heute zu verkaufen. Denn um Autofahrer zum
Umsteigen zu animieren, brauchen wir auch ein engeres Liniennetz,
dichte Taktung, schnelle und möglichst störungsfreie Verbindungen. In
Umlandgemeinden würde kaum ein Pendler auf den ÖPNV umsteigen, wenn
der nur alle zwei Stunden fährt. Dafür braucht man Geld. Viel Geld.
Ein Gratis-Verkehr wäre sehr teuer. Zweistellige Milliardensummen
sind schnell erreicht. Der Städte- und Gemeindebund hat errechnet,
bundesweit kämen 13 Milliarden Euro aus dem Ticketverkauf zusammen.
Hinzu addierten sich Investitionen für zusätzliche Fahrzeuge oder
Personal. Wird zu knapp kalkuliert, verkommen Züge und Busse mangels
Wartung. In Summe wäre das ein dicker Brocken, den sich das Land
leisten wollen müsste. Aber Achtung vor halben Bilanzen: Der
individuelle Straßenverkehr ist noch teurer. Er kostet die Kommunen –
laut einer Studie von Carsten Sommer, Leiter des Fachgebiets
Verkehrsplanung und -systeme an der Uni Kassel – mehr als der ÖPNV.
Der Verkehrsclub Deutschland sagt, dass der Autoverkehr mit jährlich
rund 150 Euro pro Person subventioniert wird. Wir kommen um eine neu
verstandene Verkehrspolitik nicht herum. Elektroautos allein sind
nicht die Lösung. Auch sie können Staus verursachen und brauchen
Parkraum. Bewegen sich die Autos erst mal autonom, könnten die Nutzer
sogar verführt sein, trotz Stau und dicker Luft mitten in die Stadt
zu fahren – man kann die Zeit im Fahrzeug ja sinnvoll nutzen. Dann
wäre mehr statt weniger Verkehr die Folge. Wichtig sind eigene
Trassen oder zumindest Lösungen, die Bussen und Bahnen jederzeit
freie Fahrt garantieren. Der Stau der Autos sollte nicht ihr Stau
sein. Regensburger wissen, was damit gemeint ist. Ähnliches gilt für
Radfahrer. Lieferverkehr muss besser gebündelt und mit lokal
schadstofffreien Fahrzeugen abgewickelt werden. Kompliziert wird es
bei Handwerkern. Auch Innenstädter sind froh, wenn ein Fachmann kommt
und ihre Heizung repariert. Aber mit welchem Fahrzeug? Da sind
Übergangsfristen und Ausnahmen nötig, die aber der Luft schaden. Der
Weg hin zu einem ökologischeren, stressfreieren Verkehr ist weit –
aber jede Mühe wert.
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