Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel „Die tapfere Frau Kohnen“ zum Landesparteitag der SPD in Weiden von Christine Schröpf

Rekordtiefs in Umfragen zur Landtagswahl, kein
Rückenwind aus der Bundes-SPD, Wählerverluste an die AfD – und jetzt
noch die Koalitionskrise in Berlin, angefacht von einer CSU, die den
Genossen bereits seit Jahrzehnten im Freistaat die Tour vermasselt:
Es sind extrem harte Zeiten auch nach Maßstäben der ohnehin höchst
leidensfähigen bayerischen Genossen. Spitzenkandidatin Natascha
Kohnen droht am 14. Oktober eine womöglich historisch hohe Niederlage
– inklusive der Schmach, von der AfD überholt zu werden. Die Sorgen
der CSU, die sich derzeit bei Werten knapp über 40 Prozent
eingependelt hat, nehmen sich vor diesem Hintergrund fast wie Luxus
aus. Umso beachtlicher ist, dass die SPD in dieser extremen Lage
nicht in Schnappatmung verfällt und unbeirrt Kurs hält. Zur
politischen DNA der Partei gehört der Kampf für die Schwächsten und
klare Kante gegen Fremdenfeindlichkeit. Daran hält die Partei fest,
auch wenn diese Überzeugungen aktuell nicht am höchsten in Kurs
stehen und womöglich den Tiefflug eher beschleunigen – mit all seinen
bitteren Konsequenzen: Im Herbst stehen für die SPD eine Reihe von
Landtagsmandaten auf dem Spiel. Der Wahl-Parteitag in Weiden brachte
den dringend benötigten Motivationsschub. Die Delegierten stärkten
die tapfere Kohnen, die in den nächsten knapp 120 Tagen den
Wahlkampf-Karren zieht. Die SPD-Spitzenkandidatin revanchierte sich,
indem sie die CSU mit genau der Leidenschaft abwatschte, die sich die
Basis von ihrer Frontfrau wünscht. Kohnen warf dafür ihre freiwillige
Selbstverpflichtung über Bord, sich nicht an der CSU abzuarbeiten. Im
Zorn über den Asylkurs der CSU brach ein Damm. 61 000 SPD-Mitglieder
erhielten von ihr den Marschbefehl, bis zum Wahltag ununterbrochen zu
kämpfen. Im Flächenland Bayern, bei derzeit in Umfragen fast 30
Prozent Abstand zur CSU, ist es ein Heer von überschaubarer Größe.
Die SPD setzt auf unfreiwillige Assistenz der bayerischen
Regierungspartei. Kohnen hofft, dass die CSU mit ihrem Fischen am
rechten Rand wenig bis nichts gewinnt und in der politischen Mitte
Platz für die SPD macht. Konservative Wähler, die in der
Flüchtlingspolitik Vokabular wie „Asyl-Tourismus“ oder
„Abschiebe-Industrie“ zutiefst empört, sollen sich der SPD zuneigen.
Nun ist die Analyse richtig, dass die CSU mit ihrer
Flüchtlingspolitik einen Teil des eigenen Klientels nachhaltig
verprellt. Es fehlen aber bisher Indizien, dass politisch Heimatlose
in großem Maß auf die SPD zusteuern. Schon bei der Bundestagswahl war
zu beobachten, dass die SPD Stimmen an die AfD einbüßt. Kohnen ist
das schmerzlich bewusst: Auch in der SPD-Stammwählerschaft hat die
Offenheit gegenüber Migranten eine Grenze erreicht. Die bayerische
SPD ist kampfbereit. Kohnen ist kompetent und integer. Doch die
politische Debatte wird in diesen aufgeregten politischen Zeiten von
Anderen dominiert. Die SPD konnte sich diesem Sog auch am Wochenende
nicht entziehen. Sofern trotz Fußball-WM noch Aufmerksamkeit für die
Politik blieb, richtete sie sich auf den Machtkampf zwischen CSU-Chef
Horst Seehofer und CDU-Chefin Angela Merkel. Beim Streitthema – dem
Zurückweisen von Flüchtlingen bereits an der Grenze – ist die SPD auf
Kanzlerinnenkurs. Sollte es der CSU gelingen, Merkel zu bezwingen,
würde sie im nächsten Schritt beim Berliner Koalitionspartner SPD
gegen die Wand laufen. Die SPD stünde dann selbst vor der
Entscheidung, ob sie im Zweifel von diesem Punkt ein Scheitern der
GroKo abhängig macht. Kohnen entscheidet als stellvertretende
Bundesvorsitzende mit. Die bayerische SPD, die sich so gerne auf die
schwere Landtagswahl konzentrieren würde, kämpft derzeit an sehr
vielen Fronten.

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