Neue OZ: Neue OZ – Interview mit dem Experten für Kleinkindpädagogik, Professor Dr. Wolfgang Tietze

Experte fordert neues Finanzierungmodell:
Qualität muss sich für Träger von Kindergärten und Krippen lohnen

Erziehungswissenschaftler für dauerhaftes Monitoring von
Einrichtungen – Qualitätsoffensive gefordert

Osnabrück.- Drei Tage vor Inkrafttreten des Rechts auf einen
Betreuungsplatz für unter Dreijährige hat der Experte für
Kleinkindpädagogik Professor Dr. Wolfgang Tietze eine
Qualitätsoffensive in den Einrichtungen gefordert. „Nachdem wir uns
10 Jahre mit der Quantitätsfrage beschäftigt haben, muss in den
nächsten fünf Jahren die Qualitätsfrage an erster Stelle stehen“,
sagte Tietze in einem Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“
(Montagausgabe). Dafür seien auch neue Finanzierungsmodelle nötig,
bei denen sich hohe Qualität für Einrichtungen und Träger lohne.

Die aktuelle Tendenz, in den Einrichtungen altersgemischte Gruppen
zu bilden, ohne die Standards für jüngere Kinder hinreichend
anzupassen, sieht Tietze äußerst kritisch: „Nach unseren Erfahrungen
ist in diesen Gruppen die Qualität geringer als in reinen
Kindergarten- und reinen Krippengruppen. Das sollte immer nur eine
Notlösung sein, aber niemals eine auf Dauer.“

Das gesamte System, egal, ob es ein evangelischer, katholischer
oder Awo-Kindergarten sei, werde praktisch aus Steuern finanziert,
betonte Tietze. „Insofern gibt es natürlich auch eine
Rechenschaftspflicht der verschiedenen Träger.“ Diese müssten nicht
nur nachweisen, dass die Gelder für den Zweck genutzt würden, für den
sie vorgesehen seien, sondern auch, ob die geforderte Qualität
erreicht werde.

Tietze sprach sich deshalb für ein Qualitäts-Monitoring aus.
„Diese Dauerbeobachtung des Systems sollte den politischen
Entscheidern als Grundlage für gezielte Maßnahmen zur
Qualitätsverbesserung dienen.“ Die Forderung nach Verbesserungen
begründete Tietze auch mit den Ergebnissen der jüngsten Nationalen
Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen
Kindheit (Nubbek), die unter seiner Leitung auch im Auftrag des
Familienministeriums erstellt wurde: Nur drei Prozent der
Betreuungseinrichtungen seien mit ,gut– bewertet worden, 85 Prozent
mit ,mittelmäßig– und zwölf Prozent sogar mit ,schlecht–. Außerdem
habe sich gezeigt, dass es in den Einrichtungen derzeit nicht
gelinge, die Chancengleichheit zu erhöhen und unterprivilegierten
Schichten zu helfen. „Mit diesem Ergebnis kann niemand zufrieden
sein, der die enorme Bedeutung der Erziehung für die Entwicklung von
Kleinkindern kennt“, kritisierte Tietze.

So habe sein Team in einer früheren Studie festgestellt, dass
diese Qualitätsunterschiede in den Einrichtungen bis zu einem Jahr
Entwicklungsunterschiede bei den Kindern zur Folge haben könnten:
„Statistisch gesehen bedeutet das, dass ein und dasselbe Kind, das
aus derselben Familie stammt, in unserer schwächsten Einrichtung den
Entwicklungsstand eines 4-Jährigen, in einer Top-Einrichtung den
eines 5-Jährigen erreichen kann.“ Eine der größten Herausforderungen
sei es aber, „endlich jenseits von Länder- und auch Trägergrenzen zu
gemeinsamen Standards zu kommen, die fachlich begründet sind“, meinte
Tietze. „Mir hat jedenfalls noch niemand erklärt, warum ein Kind in
Flensburg andere Bedürfnisse haben soll als eines in Füssen. Das ist
ja bei den Schulen das gleiche.“ Doch bei diesem Thema lande man
mitten im Kompetenzgerangel der Länder.

Pressekontakt:
Neue Osnabrücker Zeitung
Redaktion

Telefon: +49(0)541/310 207