Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Armutswanderung in Europa Freizügigkeit in Krisenzeiten Knut Pries, Brüssel

Die Freizügigkeit ist eine populäre Sache. Nach
Umfragen unter den EU-Bürgern die populärste überhaupt. Einzig die
Briten empfinden ein womöglich genetisch verfestigtes Unbehagen
darüber, dass Menschen vom Kontinent das Recht genießen sollen, mir
nichts, dir nichts auf die Insel vorzustoßen und sich dort zu
bewegen, als wären sie zuhause. In den anderen 27 Mitgliedsstaaten
sind sich Geschäftsleute, Studenten, Touristen und Arbeitssuchende
einig: Diese Freiheit ist eine Kernerrungenschaft des europäischen
Einigungswerks. Doch die Zustimmung verblasst, seit hinter der
schönen Freizügigkeit die hässliche Schwester namens
Armutszuwanderung zum Vorschein kommt. Und seit sich der EU-Mitbürger
aus Rumänien und Bulgarien mitunter als Angehöriger einer Minderheit
entpuppt, für die inoffiziell „Zigeuner“ noch immer die gängigste
Bezeichnung ist. Krisenzeiten stimmen misstrauisch: Der
EU-Einheimische, vor allem in den wohlhabenderen Mitgliedsstaaten,
sieht im Fremdling aus dem EU-Ausland den Konkurrenten um knapper
werdende Arbeitsplätze, im Extremfall den Schmarotzer an ohnehin
strapazierten Sozialkassen. Dieses Bild ist indes falsch: In der
Summe tragen die Nichteinheimischen zum Sozialstaat bei und liegen
ihm nicht auf der Tasche. Das macht die Sorgen der Kommunen nicht
geringer, die durch systematischen Missbrauch des Systems bedrängt
sind. Das liegt indes nicht an übertriebener Großzügigkeit der
europäischen Regeln, sondern an mangelnder Durchsetzung der
Vorschriften in den Nationalstaaten. Die vernünftige Antwort ist
erhöhter Kontroll- und Vollzugsdruck in Deutschland, nicht
Paragraphenbastelei in Brüssel.

Pressekontakt:
Neue Westfälische
News Desk
Telefon: 0521 555 271
nachrichten@neue-westfaelische.de