Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR
Demjanjuk-Prozess
Doch so etwas wie Gerechtigkeit
RALF MÜLLER, MÜNCHEN

Schreck in der Nachmittagsstunde: Seit
eineinhalb Jahren sind die Angehörigen von Juden, die im Jahre 1943
im SS-Vernichtungslager Sobibor ermordet wurden, voll des Lobes über
die Münchner Justiz. Akribisch hat das Schwurgericht seit Ende 2009
den Fall des in der Ukraine geborenen, mutmaßlich im Dienst der
deutschen SS stehenden und später in die USA ausgewanderten John
(Iwan) Demjanjuk aufgearbeitet. Und jetzt das: Am Ende des 93.
Verhandlungstags entließ der Vorsitzende Richter Ralph Alt den zu
fünf Jahren Gefängnis verurteilten kranken Greis in die Freiheit: Der
Haftbefehl gegen Demjanjuk wird aufgehoben.  Doch das ist völlig
korrekt: Solange jemand nicht rechtskräftig verurteilt ist, gilt die
Unschuldsvermutung. Und das bedeutet auch, dass der mutmaßliche Täter
alle Freiheitsrechte wie ein normaler Bürger in Anspruch nehmen kann.
Wie auch immer der Juristenstreit ausgeht, John Demjanjuk hat gebüßt:
Er ist weit weg von seiner Familie, alt, krank und staatenlos – ein
Ergebnis einer 30-jährigen Flucht vor der Justiz und letztlich dann
doch so etwas wie Gerechtigkeit.

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