Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar zu: Grüner Höhenflug gestoppt Entzaubert ALEXANDRA JACOBSON, BERLIN

So schnelllebig ist die Politik: Kürzlich wurde
noch darüber gegrübelt, ob sich die Grünen zur Volkspartei entwickeln
würden und Jürgen Trittin einen passablen Kanzlerkandidaten abgäbe.
Diese Fragen stellen sich nun weniger drängend. Dass die Grünen mit
20 Prozent bundesweit immer noch gut dastehen, ist keine Frage. Aber
der Höhenflug in Richtung 30 Prozent ist gestoppt. Der sinkende
Bundestrend spiegelt sich auch in Berlin wider. Renate Künasts
bisheriger Versuch, den Regierenden Bürgermeister zu Fall zu bringen,
lässt die Beliebtheit des Partylöwen Klaus Wowereit eher ansteigen.
Was ist passiert? Überraschend kommt diese Entwicklung nicht. Der
schwarz-gelbe Atomausstieg war zwar eine schwere Geburt. Aber er hat
ein zentrales, emotionales Thema neutralisiert und damit den Grünen
ein Feld zur Mobilisierung genommen. Auch die bundesweite Bedeutung
des ersten grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann sollte
nicht überschätzt werden. Kretschmann als Politiker bleibt zwar
gerade wegen seiner unangepassten Kantigkeit beeindruckend. Aber
seine Landesregierung kocht auch nur mit Wasser. Vor allem wird wohl
der zu Unrecht zu einer Glaubensfrage hochstilisierte Bahnhof
Stuttgart 21 gebaut werden müssen. Nicht nur der SPD-Teil der
Landesregierung ist dafür. Auch die Mehrheit der Menschen in
Baden-Württemberg glaubt offenbar immer noch nicht, dass der
unterirdische Bahnhof des Teufels sei. In diesem Spätsommer drücken
die Menschen andere Sorgen: Eurokrise, der Wert des Geldes, der
wirtschaftliche Ausblick. Es wäre doch möglich, dass diese Themen den
Blick eher auf Parteien lenken, die durch ihr Führungspersonal für
wirtschaftliches Wohlergehen stärker zuständig erscheinen als die
Grünen. Eventuell bahnt sich eine Renaissance der Volksparteien an.

Pressekontakt:
Neue Westfälische
News Desk
Telefon: 0521 555 271
nachrichten@neue-westfaelische.de