Kommentar von Matthias Beermann
Man kann die Verbitterung vieler Afghanen nachvollziehen, die nach
einer ganzen Reihe von Skandalen, die von der Leichenschändung über
eine Koran-Verbrennung bis zum jüngsten Amoklauf eines US-Soldaten
reichen, in den ausländischen Truppen leider inzwischen mehr Besatzer
denn Befreier sehen. Nicht zu entschuldigen ist dagegen die
Stimmungsmache, die der afghanische Präsident Hamid Karsai damit
betreibt. Denn darum handelt es sich bei seiner Forderung nach einem
früheren Abzug der Nato-Truppen, die er bis dahin am liebsten
wegsperren möchte. Der wenig respektierte Staatschef versucht sich
bei den Taliban anzubiedern, um sein politisches wie physisches
Überleben nach dem Abzug der ausländischen Truppen zu sichern. Ein
tragischer Irrtum: Die Taliban brauchen Karsai nicht. Karsais Vorstoß
ist hochriskant für Afghanistan, denn er könnte einen Sprint der
kriegsmüden westlichen Truppensteller zum Ausgang auslösen. Die
Debatte ist ja längst im Gang. Doch ein überstürzter Abzug ist das
schlimmste aller Szenarien, würde er das Land wohl unmittelbar in
einen Bürgerkrieg stürzen. Die Frustration im Westen nach einem
Jahrzehnt Afghanistan-Krieg ist groß, aber sie darf jetzt nicht zu
Kurzschlussreaktionen verleiten.
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