Südwest Presse: KOMMENTAR · ERDOGAN

Falscher Akzent

Er kam, sah und polterte. Auch gestern ist der türkische
Ministerpräsident Erdogan seinem Ruf gerecht geworden. Was warf der
Premier bei seinem Besuch in Deutschland den Gastgebern nicht alles
vor: fehlende Würdigung der ersten Gastarbeiter, unzureichende Hilfen
bei der Integration türkischer Zuwanderer, fehlende Unterstützung für
sein Land beim erhofften EU-Beitritt. Die Meinungsverschiedenheiten
sind nicht neu. Sie werden nicht aus der Welt geschafft, indem
Erdogan nur donnernd genug seine Stimme erhebt. Der türkische Premier
erweist seinen Anliegen damit einen Bärendienst. Doch auch wenn das
Taktgefühl des Staatsgastes zu wünschen übrig lässt, Versäumnisse bei
der Integration der inzwischen fast drei Millionen Türken in
Deutschland lassen sich nicht bestreiten. Erheben muss sich der ach
so selbstbewusste Erdogan jedoch nicht. Seine Forderung, in
Deutschland lebende Türken sollten zuerst Türkisch, dann erst Deutsch
lernen, führt die junge Generation in die Irre. Nur mit deutschen
Sprachkenntnissen schaffen Kinder aus türkischen Elternhäusern den
Einstieg in die Schule, ohne den es keinen Aufstieg geben kann. Wenn
aus Gastarbeitern von gestern, wie Erdogan sagt, mehr Akademiker und
Ingenieure werden sollen, sind Sprachkenntnisse das A und O. Erdogan
hat in Deutschland den falschen Akzent gesetzt. Das überdeckt auch
das Poltern nicht.

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Lothar Tolks
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