Südwest Presse: Kommentar zur NIEDRIGLÖHNEN

Sie sind männlich, Deutscher, mindestens 30 Jahre alt
und gut ausgebildet? Sie arbeiten Vollzeit in einem mittelgroßen
Betrieb und haben einen unbefristeten Vertrag? Wer sich zu dieser
Gruppe zählen kann, weist im Prinzip alle Merkmale auf, die vor einem
Dasein als Geringverdiener schützen sollten. Und dennoch ist in
Deutschland selbst derjenige nicht mehr vor Lohndumping sicher, der
all diese „günstigen“ Voraussetzungen mitbringt. Mit der
Feststellung, dass auch die „Kerngruppen“ des Arbeitsmarkts
hierzulande von Niedriglöhnen betroffen sind, bestätigt das Institut
für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung eine Entwicklung, die sich
lange angebahnt hat. Es sind eben nicht nur Minijobber, nicht nur
Geringqualifizierte und nicht nur Migranten, die es trifft. Auch
nicht nur Frauen und Teilzeitbeschäftigte, selbst wenn hier die
Missstände besonders augenfällig sind. Lohndumping ist in einem der
wirtschaftlich erfolgreichsten Länder keine Ausnahme mehr, sondern
wird zum Massenphänomen. Dass drei Viertel der Beschäftigten – noch –
auf der anderen Seite stehen, ist für die Betroffenen kein Trost.
Erst recht nicht, dass es um die Litauer ja noch schlechter steht.
Hartz-Reformen, Leiharbeit, Minijobs, Tarifflucht, Befristung – all
das hat die traurige Entwicklung gefördert. Das Ergebnis:
gesellschaftliche Polarisierung. Dem Argument, nur mit niedrigen
Löhnen könnten Arbeitslose wieder zu einem Job kommen, ist jedenfalls
endgültig der Boden entzogen. Solche Fälle mag es auch geben, sie
sind jedoch ein Randphänomen. Der einmal umgelegte Hebel hat
offensichtlich weit mehr bewegt als ursprünglich angedacht.

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Südwest Presse
Ulrike Sosalla
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