WAZ:Ägyptisches Vorbild. Kommentar von Gil Yaron

Die Leinwand mit den arabischen Lettern mitten in
Tel Aviv war ein unvergesslicher Anblick: „Irhal“ – stand darauf –
„Geh“, und darunter in Hebräisch: „Ägypten – das ist hier“.
Landesweit forderten 300 000 Demonstranten von Premier
Netanjahu Reformen. Man rechnete nach dem arabischen Frühling mit
vielen Konsequenzen, doch wohl kaum damit: Israelis ahmen ihre
arabischen Nachbarn bewundernd nach.

Juden und Araber marschierten Seite an Seite für eine bessere
Zukunft, gemeinsam mit säkularen Familien und bärtigen
Ultra-Orthodoxen, Großeltern und Enkeln. „Das Volk fordert soziale
Gerechtigkeit!“, skandierten sie, nicht zufällig zum selben Rhythmus
wie die Parole des arabischen Frühlings: „Das Volk will den Sturz des
Systems!“.

Trotz aller Ähnlichkeit überwiegen die Unterschiede: Israel ist
die einzige Demokratie in Nahost. Alle vier Jahre kann man die
Regierung abwählen. Politiker stehen nicht über dem Gesetz. So schick
Arabiens Frühling auch ist: Eigentlich sollte die Region Israel
beneiden. Grundrechte und die Fähigkeit, Wandel friedfertig
einzuläuten, sind das Privileg liberaler Demokratien.

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