Joachim Gauck weiß, was sich gehört. Also wird er
die Entscheidung in eigener Sache nicht kommentieren. Aber es darf
spekuliert werden: Daran, wie die Entscheidung über die Nachfolge des
glücklosen, im Grunde heute schon vergessenen Bundespräsidenten
Christian Wulff gefällt wurde, hat Gauck wohl seine Freude. Er ist
ein Mann der Freiheit. War es immer schon. Deshalb darf man auch
dankbar sein, dass als einzige Partei die Linke Joachim Gauck als
demokratischen Konsenskandidaten ablehnt. Das schafft einmal mehr
Klarheit. So, wie alle Parteien demokratisch sein wollen, will die
Linke nicht sein. Gauck, genauer, Stasi-Jäger Gauck, wird es freuen.
Ihn als Staatsoberhaupt abzulehnen, kann die Linkspartei nicht lauter
begründen, sondern nur mit dem Hinweis, von ihm stets unter Verdacht
gestellt worden zu sein. Zu Recht natürlich. Der Sonntag war eine
Sternstunde unserer Demokratie. Wie sehr hatten wir uns schon gewöhnt
an die parteipolitischen Mechanismen, daran, dass am Ende die Partei-
vor der Staatsräson liegt. Am Sonntag haben wir einen bemerkenswerten
Tag erlebt. Die Parteien geben der Staatsräson den Vorrang.
Die Bundeskanzlerin bringt die Größe auf, in eine große Niederlage
einzuwilligen. Bis zuletzt hatte sie Gauck verhindern wollen, obwohl
sie den Mann persönlich sehr schätzt. Um dann doch die Kurve zu
kriegen. Einmal mehr konnte man Zeuge werden ihres Pragmatismus.
Motto: neue Lage, neue Entscheidung. Die Sozialdemokraten wiederum
halten stoisch an dem Kandidaten fest, der doch eigentlich nicht
ihrer ist, es gar nicht sein kann. Ideologisch trennt Joachim Gauck
sehr viel von den Sozialdemokraten, zuallererst sein
Freiheitsbegriff. Der ist individuell, nicht kollektiv. Was in puncto
Haltung für die SPD gilt, gilt natürlich auch für die Grünen. Ein
Sieger war am vergangenen Abend die FDP. Wann eigentlich konnte man
über die Liberalen zuletzt einen positiven Satz schreiben? Es hätte
sie bei dieser ganzen Aktion auch von der Platte fegen können. Sie
haben, vielleicht auch mit dem Mut der Verzweiflung, gestanden. Ist
das eine Art von Rückkehr in den Kreis der ernstzunehmenden Akteure?
Es mag sein, dass diese, aus Merkels Sicht, Unbotmäßigkeit der FDP
der Kanzlerin noch eine schöne Begründung gibt, bei nächster
Gelegenheit auf die Roten statt auf die Gelben zu setzen. Sie hat ja
nicht vergessen, dass die Große Koalition ihr mehr Glück brachte als
die Kleine.
Die Bürger haben sich gesehnt nach einer solchen Entscheidung.
Nicht nur, weil sie nie aufgehört haben, Joachim Gauck zu schätzen
und zu mögen. Zuletzt war der Verdruss außerordentlich groß über die
Parteipolitisierung aller Politik. Unsere Parteien haben das Signal
gehört und verstanden. Und am Ende eine gute Entscheidung getroffen.
Gauck wird, wahrscheinlich, kein bequemer Präsident. Nicht nur
nicht für die Regierung, auch nicht für die Opposition. Und auch
nicht für das Volk, das ihn so schätzt. Die Deutschen haben nicht
mehr viel Vertrauen in den Wert der Freiheit, und sie hadern mit
unserem Staatswesen. Gauck tickt an diesen beiden Stellen völlig
anders, aus totalitärer Erfahrung. Er kämpft für die Freiheit (die
auch eine Option sein kann gegen der Deutschen liebstes Kind, die
Sicherheit). Und er findet, dass wir, gemessen an den Spielräumen,
die uns unsere Geschichte lässt, derzeit in der besten aller
Möglichkeiten leben. Es ist gesagt und geschrieben worden. Am Ende
hat das Staatsoberhaupt in unserer Verfasstheit wenig mehr als sein
Wort. Mehr hat Joachim Gauck niemals gehabt, aber auch niemals
gebraucht.
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