Weser-Kurier: Zum Konflikt zwischen Politik und Verfassungsgericht schreibt der „Weser-Kurier“ in seiner Ausgabe vom 10. Juli 2012

Der Konflikt zwischen Politik und
Bundesverfassungsgericht ist nicht neu. Schon 1973, als die
Karlsruher Richter dem Reformeifer der damaligen sozialliberalen
Koalition ziemliche Fesseln anlegten, schimpfte der legendäre
SPD-Zuchtmeister Herbert Wehner lauthals, „wir lassen uns von den
Arschlöchern in Karlsruhe nicht unsere Politik kaputtmachen“. Nun, wo
heute für die Bundesregierung bei der Beratung der höchsten deutschen
Richter über die Eilanträge gegen den ESM-Rettungsschirm und den
Fiskalpakt viel auf dem Spiel steht, ist die Ausdrucksweise der
Kritiker weniger grob, die aufgebaute Drohkulisse aber umso massiver.
Dass Kanzlerin Angela Merkel sich durch die jüngsten Karlsruher
Urteile, die dem Bundestag mehr Rechte bei der Euro-Rettung brachten,
in ihrer Verhandlungsfähigkeit zu stark eingeschränkt sieht, ist
nachvollziehbar. Dass Umweltminister Peter Altmaier mutmaßt, die
Karlsruher Richter treibe bei ihren Euro-Urteilen die Angst um, zu
viel an eigener Bedeutung an den Europäischen Gerichtshof zu
verlieren, kann man noch durchgehen lassen. Dass aber der
FDP-Europaparlamentarier Alexander Graf Lambsdorff nun die
Urteilsfähigkeit des Gerichts infrage stellt, ist eine ziemlich
maßlos überzogene Kritik. Und nicht gerade klug. Auch wenn der
frühere Verfassungsrichter Hans-Joachim Jentsch kürzlich gemeint hat,
Verfassungsrichter seien von Befindlichkeiten frei, darf man ihnen
wohl nicht unterstellen, dass sie juristische Automaten sind, sondern
empfindsame Menschen, die solch unfeine Kritik an ihren Fähigkeiten
nicht kaltlassen wird. So wie sie schon empfindlich und öffentlich
Bundespräsident Joachim Gauck ermahnten, mit seiner Unterschrift bis
zur Entscheidung des Gerichts zu warten, nachdem dieser in Brüssel
meinte, da werde beim ESM in Karlsruhe schon nichts schiefgehen.
Druck erzeugt überall Gegendruck, wie man sieht. Die Grundlinie des
Verfassungsgerichts, das unter seinem Präsidenten Andreas Voßkuhle
strikt darauf achtet, dass bei der Euro-Rettungspolitik die
Spielregeln der Verfassung, nämlich die Wahrung des Haushaltsrechts
des Bundestages, stets zu wahren sind, dürfte sich denn auch nicht
ändern. Die Frage ist nur, ob der ESM die Spielregeln verletzt oder
nicht.

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