Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Missernten und Hunger

Ein Mann in Deutschland reiht sich im
Bäckerladen in die Schlange. Wie immer kauft er sechs Brötchen. Zu
Hause stellt seine Frau fest, dass er 50 Cent mehr ausgegeben hat als
in der vergangenen Woche. »Sind die Preise wohl gestiegen?« fragt
sie. Eine Frau in Bangladesch geht zum Händler. Der Reis ist schon
wieder teurer, kostet jetzt 55 Taka, 13 Taka mehr als Anfang Juni.
Sie kauft ihn trotzdem. Dafür muss sie auf Fisch und Fleisch in
dieser Woche verzichten. Eine junge Mutter in Burkina Faso geht auf
den Markt, will Hirse kaufen. Der Preis erschreckt sie fast zu Tode.
Als der Händler nicht mehr verhandelt, kehrt sie um. Ohne Hirse. Sie
und ihre Kinder werden heute hungern. Diese Beispiele zeigen: Die
höheren Lebensmittelpreise treffen alle. Weltweit. Doch die Folgen
sind sehr unterschiedlich. In einem Fall sind sie ärgerlich. In
Westafrika aber werden sie zu einer Hungerkatastrophe führen, von
der, wenn nicht schnell Hilfe geleistet wird, bald 18 Millionen
Menschen betroffen sind. Experten sagen, die Lage sei diesmal noch
dramatischer als 2007/2008. Damals hatten sich die Preise für Mais,
Reis und Weizen in vier Jahren verdreifacht. Ausgehend von der
»Tortilla-Krise« in Mexiko protestierten weltweit Hunderttausende
hungernder Menschen. Danach gaben die Preise nur etwas nach. Heute
liegen sie wieder fast auf Rekordniveau, bei Soja darüber. Eine
aktuelle Ursache der drohenden Hungersnot ist die Trockenheit in den
USA, die heftigste im weltgrößten Weizenanbaugebiet seit mehr als 50
Jahren. Die Folgen sind um so schlimmer, als auch andere Anbauländer
wie Russland, Kasachstan und Ukraine unter einer Dürre leiden.
Missernten gab es auch in der Vergangenheit. Eigentlich sollte der
Welthandel die Folgen verringern. Die mögliche positive Wirkung wurde
aber schon in der Tortilla-Krise dadurch aufgehoben, dass Spekulanten
die Lage ausnutzten. Indem sie Nahrungsmittel zurückhielten, stiegen
die Preise – und ihre Gewinne. An den Geschäften mit dem Tod waren
große Geldinstitute beteiligt. Die Deutsche Bank »überlegt« immerhin,
mindestens auf Warentermingeschäfte mit Nahrungsmitteln, die nicht
durch reale Waren abgedeckt sind, zu verzichten. Sofern sie nicht
ihre Ernten vorab verkauft haben, werden wenigstens die
Getreidebauern in Ostwestfalen-Lippe 2012 von den hohen Preisen
profitieren. Der Bedarf der Energieerzeuger – hier auch Biogas,
weltweit Biosprit – wird dafür sorgen, dass sie hoch bleiben. Man
darf nicht vergessen: Jahrzehntelang litten die OWL-Landwirte unter
den niedrigen Getreidepreisen. Da ging es den Münsterländern mit
ihrer Fleischproduktion besser. Jetzt klagen sie – weil der hohe
Maispreis Schweinezucht unrentabel macht. Aber ein Blick in die Welt
hilft, auf dem Boden zu bleiben. Jeder zweite Hungernde ist nach
Angaben der UN ein Kleinbauer in einem Entwicklungsland. Das heißt:
Diese Landwirte ernten nicht einmal soviel, dass sie sich von den
Früchten ihrer Arbeit ausreichend ernähren können.

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Andreas Kolesch
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