Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Bildungsmonitor

Die gute Nachricht zuerst: Fast alle
Bundesländer haben sich im Bildungsmonitor verbessert. Gesellschaft
und Politik scheinen verstanden zu haben, dass sich Einsatz in Schule
und Wissenschaft lohnt – auch finanzieller. Doch während Hamburg den
Sprung nach oben geschafft hat, tritt NRW auf der Stelle. Das liegt
vor allem an zwei Schwachpunkten im NRW-Bildungssektor: Betreuung und
berufliche Bildung. Im Zuge der medialen Dauerpräsenz fehlender
Betreuungsplätze für unter Dreijährige ist der Mangel im schulischen
und universitären Bereich in Vergessenheit geraten.
Wissenschaftsministerin Svenja Schulze müssen die Ohren klingeln. Auf
eine Lehrkraft an Hochschulen kommen 25 Studierende. Der
Bundesdurchschnitt liegt bei 16. Und der Doppeljahrgang kommt erst
noch. Qualität in der Lehre sieht anders aus. Überfüllte Hörsäle und
zu große Seminargruppen sind Alltag. Der Ruf nach mehr Studenten kann
nicht dazu führen, dass die Standards verwässert werden. Gegensteuern
darf kein politisches Lippenbekenntnis bleiben. Das kostet aber Geld.
Doch es wäre gut angelegt. In der Grundschule ist die
Schüler-Lehrer-Relation zwar verbessert worden. Das reicht aber
nicht. Wenn NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann sagt, die
zusätzlichen Lehrer an Gymnasien wegen des Doppelabitur-Jahrgangs
würden auch darüber hinaus bleiben, um die Qualität zu verbessern,
entlarvt sie selbst Schwächen im System. Diese zusätzlichen Pädagogen
sind bitter nötig. Das gilt nicht nur für Gymnasien. In diesem Punkt
ist die Studie auf der richtigen Fährte. An anderer Stelle ist sie zu
bildungsökonomisch. NRW ist bei Zeiteffizienz führend. Das heißt,
wenige Schüler werden verspätet eingeschult. Das ist zwar ökonomisch
ein Argument. Bildungspolitisch ist es jedoch nur wirksam, wenn unter
der Hast nicht die Qualität leidet. Hier hakt es. Wer nun meint, die
Datengrundlage 2010 sei nicht aktuell, sollte wissen, dass zwischen
NRW auf Platz 13 und höheren Plätzen eine nahezu uneinholbare Lücke
klafft. Eineinhalb Jahre – von Ende 2010 bis Mitte 2012 – reichen
keinesfalls. Der Aufholbedarf ist also enorm. Bei der beruflichen
Bildung hält NRW die rote Laterne. Nur 66,1 Prozent erfolgreiche
Absolventen sind zu wenig. Statt an einer Einrichtung wie an
Berufskollegs eine möglichst breite Palette von Abschlüssen und
Ausbildungsgängen anbieten zu wollen, muss Spezialisierung
vorangetrieben werden. Das Berufsorientierungsjahr mutiert vielfach
zum Auffangbecken für Unentschlossene. Es bindet Personal und bewirkt
wenig. In puncto Forschungsorientierung (also Drittmittel) ist NRW
spitze, das Betreuungsproblem aber bleibt. Das fängt bei unter
Dreijährigen an und hört mit dem Akademiker auf. Wenn in Angebote wie
Ganztagsbetreuung und Kita-Plätze investiert wird, ist das nicht nur
eine moralische, sondern auch eine ökonomische Verpflichtung.
Flexiblere Eltern heißt flexiblere Wirtschaft. Und das ist am Ende
Bares wert.

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Andreas Kolesch
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