Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Großen Koalition

»Ja, ja, ganz klar.« Das war Martin Schulz–
Antwort am 25. September 2017, dem Tag nach der Bundestagswahl.
Erinnern Sie sich auch noch an die Frage eines Journalisten, die
dieser Antwort vorausging? »Herr Schulz, schließen Sie aus, dass Sie
in ein von Frau Merkel oder in ein von der CDU/CSU geführtes Kabinett
eintreten als Minister?« Antwort Schulz: »Ja, ja, ganz klar.« Und
weiter: »In eine Regierung von Angela Merkel werde ich nicht
eintreten.«

Fast fünf Monate später scheint das alles vergessen zu sein. Am
Tag der Einigung zur möglichen Bildung einer neuen Großen Koalition
ist der nächste Wortbruch des Martin Schulz vollzogen. Er wird mit
großer Wahrscheinlichkeit neuer Bundesaußenminister der Regierung
Merkel IV.

(Dicke) Kröten, die vor allem die CDU schlucken musste. (Faule)
Kompromisse sicherlich aller GroKo-Beteiligten. Und (erneute)
Kehrtwenden, die in erster Linie an eben Martin Schulz– Verhalten
festzumachen sind: Das ist die einfache, kritische Formel nach der
Einigung von CDU, CSU und SPD auf einen Koalitionsvertrag. Die
Ergebnisse des Pokers um Posten als Karneval ums Kabinett zu
bezeichnen, würde sicherlich zu weit gehen. Aber man darf sich
wirklich wundern.

Ganz unabhängig von seinem Wendehals-Verhalten: Da wird Schulz
Minister unter Merkel, obwohl SPD-Wähler und auch die Mitglieder
sich genau das nicht gewünscht haben mögen. Und für den
angeschlagenen Schulz wird der aktuell beliebteste Politiker in den
Reihen der Sozialdemokraten, Sigmar Gabriel, »geopfert«. Hauptsache,
Schulz ist zunächst »untergebracht«, möchte man meinen. Da spielt es
dann auch keine Rolle mehr, wenn die SPD abermals ihren Vorsitzenden
gleich mit austauscht. Man darf gespannt sein, was die SPD-Basis von
diesem unsäglichen Postengeschachere und von dieser – anders kann man
es nicht bezeichnen – Hilflosigkeit halten wird.

Das Wundern geht weiter: Da wird Olaf Scholz als Finanzminister
quasi »befördert«, obwohl er als Hamburger Erster Bürgermeister mit
dafür verantwortlich war, dass der G20-Gipfel in einer Katastrophe
endete. Da besetzt eine 20-Prozent-Partei gleich drei
Schlüsselressorts und bekommt obendrauf als Geschenk sogar noch die
Einschränkung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen.
Ganz unabhängig davon, wie man zu diesem Thema stehen mag, muss die
Frage gestellt werden: Was hat die CDU, was hat Angela Merkel
eigentlich ausgehandelt? Welche Themen werden nur ihr und ihrer
Partei zugeschrieben? Was und wo ist die erkennbare CDU-Handschrift
dieses Koalitionsvertrages? Womit wir bei der Merkel-Partei wären
und somit einer weiteren wundersamen Überraschung. Denn man darf
sich fragen, warum ausgerechnet Ursula von der Leyen
Verteidigungsministerin bleiben darf, obwohl ihre Akzeptanz in der
Truppe und in der eigenen Partei zuletzt arg gelitten hat. Warum
nimmt die CDU nicht das so wichtige Finanzressort in Anspruch, um so
den unstrittig erfolgreichen Kurs von Wolfgang Schäuble fortzusetzen?
Gewiss: So einfach ist es nicht. Aber warum lässt es die CDU
insgesamt zu, dass sie aus diesen Koalitionsgesprächen als klarer
und einziger Verlierer hervorzugehen scheint? Fast hat man das
Gefühl, als hätte die CDU der SPD mitgehofen, ein besonders hübsches
Präsent zusammenzustellen, damit es die SPD-Mitglieder hoffentlich
auch schön finden und am Ende für die GroKo stimmen.

Der Preis für die Macht ist hoch. Angela Merkel hat es nach dem
Verhandlungspoker wörtlich gesagt. Die Ressortverteilung sei nicht
einfach gewesen. Übersetzt heißt das: Sie und ihre Partei mussten
schmerzliche Kompromisse eingehen, damit eine neue Regierung unter
ihrer Führung überhaupt zustande kommen kann. Wer Merkel als
pragmatische Politikerin kennt, weiß, dass ihr die zügige Bildung
einer neuen Regierung, Deutschland insgesamt und auch der eigene
Machterhalt wichtiger sind als Ministerposten und Positionen eines
Koalitionsvertrags. Sie fühlt sich verantwortlich und dem Land
verpflichtet. Wenn es sein muss, »opfert« sie zur Not auch ihren
bisherigen und von ihr so geschätzten Innenminister Thomas de
Maizière. Merkel sieht die lange, große Linie. Sie fürchtet die
Blamage, wenn das Land weiterhin ohne Regierung dasteht. Dafür nimmt
sie viel in Kauf. Auch die Kritik aus den eigenen Reihen, die hinter
den Kulissen bereits in vollem Gang ist.

Trotz vermeintlicher Glücksgefühle der SPD-Führung, gut verhandelt
zu haben, befindet sich die sozialdemokratische Partei in einem
dramatisch schlechten Zustand. Darüber können die
Koalitionsverhandlungen nicht hinwegtäuschen. Die SPD hat ein
riesengroßes Glaubwürdigkeitsproblem und sie weiß nicht wirklich,
wofür sie eigentlich genau steht.

Doch zunächst bleibt abzuwarten, wie die Basis abstimmen wird.
Erst danach wird man sehen, ob diese neue Große Koalition – wie von
Angela Merkel angekündigt – tatsächlich eine neue Dynamik
herbeiführen kann. Oder ob es beim »Weiter so« bleibt.

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Andreas Kolesch
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