Die EU steht an einem Wendepunkt. Nach Jahren
des Nichtentscheidens haben sich die Dinge so zugespitzt, dass nun
etwas passieren muss. Die konservative Fraktion im EU-Parlament, die
Europäischen Volkspartei (EVP), zurrt in München gerade ihre Ziele
für die nächsten Monate fest. Sie tut gut daran, eine Antwort zu
finden, auf die Frage, wo es mit Europa hingehen soll. Das sollten
auch andere Parteien tun. Die EU muss sich neu aufstellen, schon
deshalb, weil sie außenpolitisch ziemlich allein dasteht. Die USA
unter Präsident Donald Trump behandeln die EU nicht wie einen
Verbündeten, sondern wie einen Konkurrenten. Trumps Schutzzölle sind
ein Wirtschafts-, sein Ausstieg aus dem Iran-Abkommen ein
Sicherheitsrisiko. Auch die Beziehungen zu Russland sind angespannt,
nachdem das Land die Krim annektiert hat, sich in Syrien und der
Ostukraine engagiert und es zu einer Vergiftung eines ehemaligen
russischen Spions in Großbritannien gekommen ist. Immerhin hat sich
der russische Präsident Wladimir Putin in einem Interview mit dem
österreichischen Sender ORF offen für eine Wiederannäherung gezeigt.
Um ein Partner auf Augenhöhe zu sein, muss die EU aber geeint
auftreten. Ein gemeinsames Auftreten der Europäer scheint zudem bei
einem Blick noch weiter Richtung Osten ratsam. China investiert
kräftig in Infrastrukturprojekte entlang einer neuen Seidenstraße,
die bis nach Europa reichen soll, und weitet seinen Einflussbereich
aus. Die Sorgen, die aus dem Inneren der EU kommen, wiegen ebenfalls
schwer. Solidarität ist vielfach gefragt. Trotz anziehender
Wirtschaft bleibt die Jugendarbeitslosigkeit in den südeuropäischen
Ländern hoch. Italien, das gerade eine europakritische Regierung
bekommen hat, und Frankreich haben weiter hohe Staatsschulden. In
Polen wird der Rechtsstaat ausgehöhlt, was dem europäischen Gedanken
radikal widerspricht. Großbritannien will raus aus der EU. Die
Finanzen müssen neu geregelt werden. Finanzpolitische Vorstellung
prallen aufeinander. Das alles ist kompliziert und hemmt die
Begeisterung für die EU. Denn wer weiß schon, was einen
Rettungsschirm von einem Währungsfonds unterscheidet? Und Populisten
schlagen ungebrochen auf das Projekt Europa ein. „Der Erfolg Europas
wird von unserer Fähigkeit abhängen, die Bürger zu schützen, die
europäische Lebensweise zu erhalten, neue Hoffnung zu schaffen und
den Europäischen Kontinent zu stärken“, steht in dem Positionspapier,
über das die EVP-Fraktion diskutiert. Der lauteste Ruf der EVP, die
europäische Grenzschutzagentur Frontex personell breiter aufzustellen
und ihr mehr Kompetenzen zu geben, wird mit Sicherheit erfüllt
werden. Die EU muss schließlich die Kontrolle über ihre Außengrenze
sicherstellen, um die Binnengrenzen offenhalten zu können. Der Erfolg
der EU wird aber auch davon abhängen, wie viel die Staaten dafür tun
wollen. Auch Deutschland muss sich entscheiden. Die Deutschen müssen
darüber diskutieren, wie viel Europa sie sich leisten wollen – und
wie viel Nicht-Europa sich leisten können. Ein erster Schritt ist,
anzuerkennen, dass Europa kein reines Draufzahlgeschäft ist.
Deutschland ist zwar insgesamt ein Nettoeinzahler. Heruntergebrochen
auf einzelne Regionen sieht es wieder anders aus. Ostbayern
profitiert zum Beispiel stark von EU-Förderungen. Und keine andere
Volkswirtschaft hat so stark vom Euro profitiert wie die deutsche.
Das sollten die Deutschen anerkennen, wenn es um Reformen geht. An
denen sollten sie mitarbeiten und das deutlich aktiver. Niemand muss
die EU, so wie sie jetzt ist, rundum mögen. Aber wer sich ärgert,
sollte auch sagen, wie er sich das Europa der Zukunft vorstellt. Mit
Angela Merkels Antwort auf die französischen Vorschläge ist ein
Anfang gemacht. Nun kann verhandelt werden.
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