Mittelbayerische Zeitung: Kanzlerin mit Lehrauftrag Leitartikel zum CDU-Parteitag

Welch ein Unterschied: Vor acht Jahren gab
Angela Merkel auf dem damaligen Parteitag der CDU in der sächsischen
Messestadt die radikale Marktliberale. Die Oppositionschefin wollte
Rot-Grün mit viel mehr Markt, weniger Bürokratie und weniger Staat,
aber dafür mehr Eigenvorsorge von der Macht vertreiben. Doch es ist
anders gekommen. Die CDU-Chefin hat erst in der großen Koalition und
nun in der von der Euro-Krise gebeutelten schwarz-gelben Koalition
eine heilige Kuh nach der anderen schlachten müssen. In Leipzig hat
sie die bisweilen rasanten Richtungswechsel in ihrer
Regierungspolitik, fast wie eine Bundeskanzlerin mit einem
Lehrauftrag: sachlich, rational und ruhig begründet. Merkels
Auftritte rissen nicht gerade zu Beifallsstürmen und Schenkelklopfern
hin, sondern waren mehr von der professoralen Art: Was ich meinen
Studenten unbedingt sagen muss. Merkel, die erklärende
CDU-Vorsitzende. Lange war genau dies vermisst worden. Und so manchem
Unioner ist bei den abrupten Richtungswechseln in ihrer Politik –
Raus aus der Kernkraft, Weg mit der Wehrpflicht, her mit
Lohnuntergrenzen usw. – schlecht geworden. Zweifel kamen auf, ob
Merkel bei der vermeintlichen Sozialdemokratisierung der Partei nicht
Kernelemente des Christdemokratischen opfern würde. Diese Debatte
wird weitergehen. Nach Leipzig jedoch in ruhigeren Bahnen. Gab es im
Vorfeld des Parteitages hier und da leise Zweifel an Merkels Kurs,
etwa bei der Mindestlohngestaltung à la Merkel oder der Euro-Rettung,
so sind die mit dem Kongress ziemlich schnell in sich
zusammengebrochen. Angela Merkel führt die CDU und die Union
souveräner als je zuvor. Und dies aus zwei Gründen: Erstens hat sie
das programmatische Profil so gründlich runderneuert, dass sie damit
auch im Wahljahr 2013 nahezu für jedes Regierungsbündnis gewappnet
ist. Denn letztlich wird nicht das sklavische Festhalten an
Positionen goutiert, sondern der Erfolg beim Festhalten der Macht.
Und zweitens ist Merkel in CDU und Union insgesamt ohne personelle
Alternative. Neben der Großen Vorsitzenden und „Kabinetts-Mutti“ wagt
sich niemand mit ernsthaften Kanzlerambitionen aus der Deckung.
Außerdem haben die immer mal genannten Ursula von der Leyen oder
Norbert Röttgen einfach – noch – nicht annähernd Merkel-Format. Das
spricht einerseits für Weitsicht und Führungsstärke von Merkel. Auf
Dauer gesehen ist dies jedoch auch eine Schwäche der Union. Bei der
SPD ist zu besichtigen, wie lange es dauern kann, bis sich eine große
Partei nach dem Rücktritt eines politischen Alpha-Tieres, wie etwa
Gerhard Schröder eines ist bzw. war, wieder fängt und zugkräftiges
Spitzenpersonal anbieten kann. Den Noch-Koalitionspartner FDP
freilich hat Merkel, trotz aller Treueschwüre, bereits nahezu völlig
abgeschrieben. Nur noch aus Anstand und Koalitionsräson regiert sie
mit dem glücklosen Westerwelle-Nachfolger Philipp Rösler weiter.
Wohlwissend, dass die SPD, wenn wirklich Not am Mann wäre, sofort für
eine große Euro-Rettungs-Koalition zur Verfügung stünde. Mit ihrem
Kurs der klaren Abkehr von den wilden Leipziger Beschlüssen das
Jahres 2003 ist Merkel fast unbemerkt dabei, Rot-Grün 2013 das Wasser
abzugraben. Hinzu kommt, dass möglicherweise die Piraten-Partei und
wahrscheinlich auch die Lafontaine-Linken das Ihre dazu beitragen,
dass Sozialdemokraten und Grünen eine Renaissance als Koalition
verwehrt bleibt. Da ist „Mutti“ vor.

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