„DER STANDARD“-Kommentar: „Anleitung zur Anstandslosigkeit“ von Michael Völker

Es geht um Anstand. Den sollen ÖVP-Funktionäre
künftig pauken, in eigenen Ethik-Seminaren. Wer nicht folgt, der wird
gerügt. Dann ermahnt. Im Ernst.
Es fällt schwer, sich über den Verhaltenskodex, den ÖVP-Chef Michael
Spindelegger am Freitag in Grundzügen vorgestellt hat, nicht lustig
zu machen. Dennoch ein Versuch.
Anstand kann man nicht lernen. Aber man kann versuchen, ein paar
Grundregeln auf dem Weg dorthin zu konkretisieren. Ein paar
Beispiele: Darf sich ein Politiker von Unternehmern auf Jagden
einladen lassen? Darf ein Politiker betrunken Autofahren? Darf ein
Politiker von einem staatsnahen Unternehmen Geld für Inserate keilen?
Darf ein Politiker nebenbei für einen Glücksspielkonzern arbeiten?
Darf sich ein Politiker von einem staatsnahen Betrieb den Wahlkampf
zahlen lassen?
Die Antwort sollte bekannt sein. Sie lautet in allen Fällen: nein.
ÖVP-Politiker müssen das aber erst lernen. Politiker anderer Parteien
müssten das auch, das weiß man aus zahlreichen Beispielen. Der ÖVP
kann man jetzt immerhin zugutehalten, dass sie sich bemüht, sich
diesen Fragen zu stellen. Der ehrliche Umgang mit dieser Thematik
kann schmerzlich sein.
Es geht hier nicht (nur) um das Strafrecht, es geht um Anstand. Das
hat Spindelegger richtig erkannt. Wenn es in der Volkspartei in
Zukunft dafür Kurse gibt, dann ist das zwar auch das Eingeständnis
eines manifest verlotterten Zustands – aber Spindelegger will es
besser machen. Soll er, gut so. Wenn es dazu Regeln braucht – her
damit. Wie auch Spindelegger selbst immer wieder anführt: Es ist eine
Frage der Glaubwürdigkeit.
Gerade dort spießt es sich aber. Der Tiroler Landeshauptmann Günther
Platter ließ sich auf Jagden einladen, schoss umsonst Tiere. Keine
Konsequenzen. Der Vorarlberger ÖVP-Klubchef Roland Frühstück wurde
mit 1,0 Promille am Steuer seines Wagens erwischt. Keine
Konsequenzen. Der ÖVP-Abgeordnete Werner Amon hat als
ÖAAB-Generalsekretär bei der Telekom 10.000 Euro „Druckkostenbeitrag“
eingehoben – ohne offizielle Gegenleistung. Die Justiz ermittelt.
Keine Konsequenzen. Amon ist immer noch Fraktionsführer im
Untersuchungsausschuss. Der ÖVP-Abgeordnete Günter Stummvoll war 2011
zugleich Aufsichtsratschef des Glücksspielkonzerns Merkur
Entertainment AG und Vorsitzender des parlamentarischen
Finanzausschusses. Er verhandelte das Glücksspielgesetz. Eine
klassische Unvereinbarkeit. Den Aufsichtsrat verließ Stummvoll nach
entsprechender Berichterstattung; im Parlament bleibt er. Die
ÖVP-Abgeordnete Karin Hakl war Telekom-Sprecherin ihrer Partei, die
Telekom finanzierte 2008 ihren Wahlkampf mit 20.000 Euro. Die
unentgeltliche Funktion als Telekom-Sprecherin legte sie schließlich
zurück; bezahlte Abgeordnete bleibt sie.
Spindelegger hat recht. Es braucht offenbar Regeln für den Anstand
abseits des Strafgesetzbuches. Wie geht man mit Inseraten, mit
Einladungen, mit Sponsoring, mit Unvereinbarkeiten, mit
Vorteilsannahme um. Spindel-egger und die ÖVP müssen es sich aber
auch gefallen lassen, dass sie an der Wirklichkeit gemessen werden.
Es helfen keine Regeln, keine Seminare, es hilft kein Ethikrat, wenn
den Worten keine Taten, wenn den Verfehlungen keine Konsequenzen
folgen. Dann kann man den Verhaltenskodex der ÖVP nicht ernst nehmen.
Dann bleibt die Glaubwürdigkeit auf der Strecke.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

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