Allg. Zeitung Mainz: Der Beschleuniger / Kommentar zu Steinbrück und der SPD

Haben wir uns alle nicht wieder und wieder Politiker
gewünscht, die mal Klartext reden? Die nicht schon in jungen Jahren
komplett konturlos sind? Ja, wir haben. Dann kommt mit Peer
Steinbrück jemand, der diesen Erwartungen entspricht – und alle
reiben sich heftigst die Augen (oder tun so), als sei der Leibhaftige
zum Kanzlerkandidaten erkoren worden. Dabei ist der Steinbrück, der
Gehaltsvergleiche anstellt, kein anderer als der, der unter weithin
vernehmbarem Applaus Kavalleristen gegen Steuersünder ins Feld
schicken wollte. Was also sagt uns die Debatte um ihn? Natürlich hat
er Fehler gemacht, vor allem in der Diskussion um seine
Rednerhonorare. Aber das erklärt die Aufregung nicht. Hat sich dieses
Land doch auch an CDU-Politiker gewöhnen müssen, die ganze Flughäfen
von Firmen umbauen lassen, deren Chef sie wenig später werden. Der
Einbruch in den Umfragen muss also mindestens so viel mit der SPD
selbst zu tun haben wie mit ihrem Kandidaten. Die Sozialdemokraten
haben nicht nur ein personelles, sondern vor allem ein inhaltliches
Problem: Hätten sie Themen, die die Menschen losgelöst vomKandidaten
überzeugen, schlüge Steinbrück nicht derart ins Kontor. Aber weil
sich immer mehr Wähler von den Sozialdemokraten ohnehin nichts mehr
erwarten, geht es beschleunigt bergab. Ein Trend, der schon lange vor
Steinbrück begann. Wenn angesichts dessen die Nominierung des
scharfkantigen Hamburgers der Versuch war, sich wenigstens in eine
Große Koalition zu retten, geht dieser Plan – wenn auch mit Getöse –
bislang voll auf. Jedenfalls so lange, wie die FDP in Hannover und
Berlin unter fünf Prozent bleibt oder die verbissen schweigenden
Grünen den Spieß nicht herumdrehen und ihrerseits der auf diesem Ohr
keineswegs tauben Kanzlerin Avancen machen.

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