„DER STANDARD“-Kommentar: „Verzopfte Pädagogik-Verwaltung“ von Conrad Seidl

Das Problem des Schulsystems ist seine enorme
Trägheit. Steigen die Geburtenzahlen, braucht man innerhalb von sechs
Jahren zusätzliche Lehrer. Sinken die Geburtenzahlen, müsste man
diese Lehrer – und seien sie noch so gut – wieder loswerden. Beides
ist in einem System, in dem die Entscheidung für den Pädagogenberuf
als Lebensentscheidung mit Aussicht auf eine Lebensstellung angelegt
ist, mit enormen Schwierigkeiten verbunden. Dieses Problem wird nicht
leichter dadurch, dass die Schulplanung auf die Bedürfnisse von
Regionen, Gemeinden, Eltern und (fast würde man das vergessen:)
Schülern eingehen muss.
Selbst ein hartes Hire-and-fire-Dienstrecht für die Lehrer würde
diese Detailprobleme nicht lösen – wahrscheinlich würden sie sogar
verschärft, weil man nicht mehr die bestqualifizierten Pädagogen
gewinnen könnte. Eine Zeitlang haben sich die Schwierigkeiten auch
bequem kaschieren lassen: Sanken die Schülerzahlen, hat man eben die
Betreuungssituation verbessert – in manchen Bereichen mit vielen
Kindern nichtdeutscher Muttersprache eine Notwendigkeit, in anderen
jedoch bloß ein der Statistik zu verdankender Luxus.
Diesen Luxus leisten sich die österreichischen Bundesländer gerne –
er wird ja in hohem Maße aus Bundesmitteln finanziert.
Aber der Rechnungshof klopft den Landespolitikern nun immer kräftiger
auf die Finger: Die im Vergleich zu anderen Ländern geringe Zahl von
Schülern pro Lehrer _sei nur schwer zu rechtfertigen. Was heißt
schwer? Liest man im Rechungshofbericht genauer, stellt man fest,
dass gar nicht erst versucht wird, sie mit sachlichen Berechnungen zu
rechtfertigen, sondern dass Bund und Länder politisch einen als
objektiv bezeichneten Verteilungsschlüssel ausverhandelt haben, der
allerdings niemals sachlich evaluiert worden ist.
Stattdessen verwaltet man still vor sich hin und duckt sich weg, wenn
wieder einmal über die hohen Kosten der Schulbürokratie mit ihrer nur
scheinbar mächtigen Zentrale und den unzähligen Verästelungen in den
Bundesländern geschimpft wird. Wer versucht, das System zu ändern,
holt sich eine blutige Nase: Die Bundes_länder sind nicht bereit, die
faktische Steuerung der Schulverwaltung abzugeben – dahinter
versteckt sich nicht nur Macht bis in das letzte Klassenzimmer,
sondern auch das Misstrauen gegen eine Steuerung der Bildungs
angebote durch ein „bürgerfernes Ministerium“ in Wien.
Ginge es nach manchen Landespolitikern, dann hätte das Ministerium
gleich gar nichts mehr zu reden – würde man ihnen die Schule zur
Gänze überlassen, dann könnten sie die Verwaltung viel einfacher und
bürgernäher gestalten. Der Bund müsse einfach nur zahlen – und er
werde schon sehen, was dabei herauskommt an Segnungen für die
Regionen.
Die Bundespolitik sieht solche Überlegungen mit Skepsis. Der
Rechnungshof erst recht. Es ist die Skepsis des jenigen, der die
Parteienwirtschaft zur Genüge kennt: Allzu bequem haben es jene, die
verteilen können, ohne die Kosten selbst aufbringen zu müssen. Da ist
wohl eine zentrale Steuerung noch effizienter. Aber diese kann nur
funktionieren, wenn sie für die Feinsteuerung in den einzelnen
Schulen mehr Platz lässt. Und wenn sie ein Rezept findet, das es
attraktiv macht, Lehrer zu werden, den Beruf einige Jahre auszuüben
und dann ohne Existenzängste Jüngeren Platz zu machen.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

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