Schon der formale Vorgang ist ungewöhnlich: Dass
sich beide Kammern des Verfassungsgerichts zu einer Entscheidung
zusammenfinden, hat es in der Geschichte des höchsten deutschen
Gerichts erst fünfmal gegeben. Ungewöhnlich ist auch, dass dieses
Plenum ein vorheriges Urteil eines Teils seiner selbst, nämlich einer
der beiden Kammern, kassiert. Ganz und gar ungewöhnlich ist
schließlich das Urteil selbst, das nun zwar militärische
Bundeswehreinsätze im Innern zulässt, aber nur als „Ultima Ratio“, in
„Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes“. Welches diese sein
sollten, wird allerdings nicht definiert, welche nicht, dagegen
schon: Demonstrationen beispielsweise oder Flugzeugentführungen. Kein
Wunder, dass sich viele Politiker fragen: Was wollte uns das Gericht
mit diesem Urteil sagen? Man meint fast in jedem einzelnen Satz zu
spüren, wie schwer sich die Verfassungsrichter mit einem der
bestgehüteten Tabus der bundesrepublikanischen Verfassungsgeschichte
getan haben. Die strikte Trennung von Polizei- und Militäraufgaben
und -verantwortlichkeiten wurde von den Vätern und Müttern des
Grundgesetzes vor mehr als 60 Jahren unter dem Eindruck der
verheerenden Erfahrungen aus der Weimarer Republik und der
Naziherrschaft festgeschrieben, aus gutem Grund. Nun steht die
Demokratie in Deutschland mehr als halbes Jahrhundert später ganz
sicher so ungefährdet da, dass höchstens Verschwörungstheoretiker die
Gestattung von Amtshilfe in Notsituationen als Lizenz zum
Staatsstreich interpretieren. Andererseits hat noch keiner der
eifrigen Verfechter von bewaffneten Bundeswehreinsätzen im Inneren
mehr als hochtheoretische Notsituationen fantasieren können, die dies
überhaupt erforderlich machen könnten. Auch dem Verfassungsgericht
ist das nicht gelungen. Insofern ist dem Sondervotum des
Abweichler-Richters zuzustimmen: Wer mit Panzern und Kanonen
ausgerüstete Soldaten für Polizeizwecke einsetzen will, sollte das
Grundgesetz ändern – und sich dafür die notwendige politische
Mehrheit suchen.
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