Mindener Tageblatt: Kommentar zur Diskussion um Nebeneinkünfte / Totalitäre Transparenz

Kanzlerkandidat Peer Steinbrück tritt die Flucht
nach vorne an. „Totale Transparenz“ fordert er nun bei der Vergütung
von Nebentätigkeiten für Abgeordnete, natürlich von allen. Und er
wäre nicht er, schenkte er seinen Kritikern (von denen nicht wenige
demnächst für ihn Plakate kleben sollen) dabei nicht gleich noch
ordentlich einen ein. Dass Steinbrück sich rechtlich sicher
einwandfrei verhalten hat, zeigt schon seine penible Meldeliste. Dass
er seinen Marktwert als Redner und Autor geschäftstüchtig zu nutzen
weiß, kann ihm nicht ernsthaft zum Vorwurf gemacht werden. Dass man
als Bundestagsabgeordneter 24 Stunden rund um die Uhr ausschließlich
mit Wahlkreisarbeit, Aktenstudium, Bundestagsdebatten und dem
Ausfüllen von Anwesenheitslisten bei Fraktionssitzungen verbringen
soll, verlangt nicht einmal das Grundgesetz. Zum Glück: Welche Sorte
Politiker sollte wohl dabei herauskommen? Ob sich die Bürger von
Wahlkreisabgeordneten oder Listen aufstellenden Parteien gut im
Parlament vertreten fühlen, entscheiden Sie an der Urne; in die der
Stimmabgabe vorausgehende Beurteilung dürften die unterschiedlichsten
Kriterien einfließen. Beim Kandidaten für das wichtigste Führungsamt
lautet die entscheidende Frage wohl: Kann er Kanzler? Und nicht: Was
rechtfertigt seine Honorarsätze als Vortragsredner? Wobei die Antwort
auf 1) vielleicht schon die auf 2) sein könnte … In Wahrheit steckt
hinter großen Teilen der jetzt wieder an Peer Steinbrück wegen seiner
Nebentätigkeiten geäußerten Kritik auch nicht solche an der Qualität
seiner politischen Arbeit. Vielmehr kommt hier – neben manch
unterschwelligem Neidmotiv – auch das grundsätzliche Misstrauen
mancher Bürger gegenüber der repräsentativen Demokratie zum Ausdruck.
Es unterstellt letztlich Bestechlichkeit, Kungelei, Vorteilsnahme,
kurz Unehrenhaftigkeit. Dieser Generalverdacht ist nicht nur schäbig.
Er entzieht unserem politischen System auch den Boden des Vertrauens,
auf dem allein es existieren kann. Selbstverständlich hat der Bürger
Anspruch auf Transparenz. Total kann sie nicht sein, weil die
Gesellschaft selbst aus guten Gründen für sich das Recht auf
Privatheit und Datenschutz in Anspruch nimmt. Den Rest müssen
funktionierende Kontrollsysteme regeln. Die gibt es. Oder man kann
sie verbessern.

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