Mittelbayerische Zeitung: Griffiges Feindbild / Die Beobachtung von Abgeordneten der Linken durch Verfassungsschützer schweißt die Partei zusammen.

Von Reinhard Zweigler

Seit Monaten tobt in der Linkspartei ein mehr oder weniger offener
Kampf um das künftige Spitzenpersonal. Pragmatiker, die lieber heute
als morgen in den Ländern oder sogar im Bund mitregieren würden,
streiten sich mit linken Fundamentalisten, die die Bundesrepublik in
ihren Grundfesten ummodeln wollen. Erst vor wenigen Wochen
verständigte sich die Linke in Erfurt allerdings auf ein ziemlich
radikales Parteiprogramm, mit dem Koalitionen mit anderen Parteien
nahezu unmöglich gemacht werden. Opposition pur einer Partei, bei der
sich viele untereinander überhaupt nicht grün sind. Die Umfragewerte
und das Erscheinungsbild der Linken sind gleichermaßen mies. Vor
diesem Hintergrund kommt der Clinch um die Beobachtung von
Links-Abgeordneten durch den Verfassungsschutz fast wie gerufen. Die
Linke bekommt wieder ein griffiges Feindbild. Die Partei wird
gewissermaßen zusammengeschweißt. Sich mit den „Schlapphüten“ aus
Köln anzulegen, gilt gewissermaßen als chic unter Deutschlands
Linken. Ihre Wähler dürften das eher goutieren als abschreckend
finden. Die Linke gefällt sich als Märtyrer. Auf der anderen Seite
ist auch die harte Haltung von Bundesinnenminister Hans-Peter
Friedrich nicht frei von politischem Kalkül. Seine Klientel dürfte
eher dafür sein, dass den Linken ordentlich auf die Finger geschaut
wird. Die Debatte wird offenbar nicht nur von der Linken
„hochgezogen“, sondern auch von der Union kräftig angeheizt. Die
Aufregung darüber scheint auf beiden Seiten künstlich erzeugt. Doch
abseits von Nützlichkeitserwägungen steckt hinter dem Fall auch
gehöriger Zündstoff für die schwarz-gelbe Koalition. Die den
Bürgerrechten verpflichtete liberale Justizministerin Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger geht offen auf Distanz zum ihrem
Kabinettskollegen Friedrich. Sie findet die Überwachung von
Linken-Parlamentariern „unerträglich“. (Ähnlich sieht dies übrigens
Parlamentspräsident Norbert Lammert.) Das ist bemerkenswert
undiplomatisch und sagt obendrein viel darüber aus, wie sich die
beiden wichtigen Verfassungsressorts im Kabinett in wichtigen Fragen
abstimmen: nämlich gar nicht. Rein rechtlich bewegen sich die
Verfassungsschützer, die in Köln offenbar nur Interviews und sonstige
Verlautbarungen von ausgewählten Linken lesen, zudem auf dünnem Eis.
Sie „beobachten“, nur, heißt es blauäugig vom Bundesamt. Das heißt
auch, nachrichtendienstliche Mittel, etwa Überwachung des Telefon-
oder E-Mail-Verkehrs, gebe es nicht. Man mag das den „Kölner
Schlapphüten“ ja gerne glauben, nur räumen die selbst ein, dass
manches Landesamt sehr wohl andere Mittel einsetzt als nur intensives
Zeitunglesen und Surfen im Internet. Selbst das
Verfassungsschutzgesetz erlaubt die Beobachtung von Abgeordneten nur
bei besonders schwerwiegenden Fällen. Und richtig brenzlig wird die
Sache dann, wenn sogar Mitglieder des Bundestags-Kontrollgremiums,
die eigentlich die Geheimdienste kontrollieren sollen, von denen ins
Visier genommen werden. Da macht sich der Bock zum Gärtner. Eine
gesetzliche Klarstellung, wann und mit welchen Mitteln der
Verfassungsschutz im Fall gewählter Abgeordneter aktiv werden darf,
scheint dringend nötig. Dies übrigens auch im Interesse des
Verfassungsschutzes selbst. Denn dass die Behörden dieses Dienstes
auf Bund- und Länderebene bei der Zwickauer Terrorzelle so dramatisch
versagt haben, war kein Ruhmesblatt. Diesen schwachen Eindruck können
sie nun nicht etwa mit besonderer Forschheit gegen Linke wettmachen.

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