Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zum Stopp der Missbrauchsstudie: „Barmherzig ans Ziel“

Wer an Seele und Körper verletzt wird, ohne
sich wehren zu können oder zu dürfen, dem bleiben ein Leben lang
Narben. Insofern wird es für die Opfer von Missbrauch und Gewalt den
Punkt nie geben, an dem sie sagen können: „Ja, es ist alles getan,
damit ich wieder uneingeschränkt in Frieden leben kann.“ Auch die
Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche wird an
diesem Punkt scheitern, selbst wenn von der Bischofskonferenz nach
der Trennung vom Pfeiffer-Institut nun schnell eine Fortsetzung der
Studie mit einem neuen Partner beschlossen wird. Und doch haben diese
Opfer ein Anrecht darauf, dass das Menschenmögliche getan wird, um
ihre Situation zu verbessern. Anerkennungszahlungen und förmlich
ausgesprochene Entschuldigungen sind dabei ja nicht viel mehr als
sogenannte Hygienefaktoren. Es gilt, sich im Sinne der in der
katholischen Soziallehre so wichtigen Solidarität um sie zu kümmern,
etwa durch regelmäßige Besuche und Kontaktaufnahmen durch Personen,
zu denen sie Vertrauen fassen. Darüber hinaus muss man den Opfern und
der gesamten Öffentlichkeit deutlich machen, dass es einem ernst ist
mit dem Ziel, solche Taten in aller Zukunft zu verhindern. Und zu
dieser Prävention gehört es nun einmal, Wissenschaftlern eine
zuverlässige Datengrundlage zur Verfügung zu stellen, die Aufschluss
gibt über die in der römisch-katholischen Kirche Deutschlands von
Klerikern und Mitarbeitern verübten Sexualdelikte. Nur auf dieser
Basis wachsen Erkenntnisse, die am Ende zu vorbeugenden und auch
funktionierenden Maßnahmen führen. Natürlich machen Datenschutzgründe
einen sorgfältigen Umgang mit dem Informationsfluss zwischen Kirche
und Wissenschaft notwendig. Aber gegenseitiges Misstrauen schadet
dabei sowohl dem Ansinnen als auch der Glaubwürdigkeit. Im aktuellen
Fall scheint die Chemie zwischen den handelnden Personen auf Seiten
der Bischofskonferenz sowie des Kriminologischen Forschungsinstituts
Niedersachsen nicht gestimmt zu haben. Okay, aber dennoch muss die
Kirche peinlich genau darauf achten, eines ihrer wichtigsten Güter,
die Glaubwürdigkeit, nicht aufs Spiel zu setzen. Geht sie deshalb
juristisch gegen die Pfeiffer-Vorwürfe „Zensur“ und
„Aktenvernichtung“ vor? Der Sache selbst, der Aufarbeitung und
Prävention nämlich, wird es nicht dienen. Sollte die Kirche immer
noch nach einem Rezept suchen, wie mit dem schwierigen Thema
umzugehen ist, so könnte sie auf eigenem Fundament fündig werden: Sie
muss barmherzig sein. Wer barmherzig ist, öffnet sein Herz fremder
Not. Die Barmherzigkeit ist eine der Haupttugenden und wichtigsten
Pflichten des Christentums. Sie überwindet alle Hürden. Und sie wird
vom Empfänger anerkannt. Autor: Manfred Sauerer

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