Frau, gläubig, links. So hat Andrea Nahles vor
einigen Jahren schon ihre Biografie überschrieben. Man darf nach
ihrer nicht gerade glänzenden Wahl zur Parteivorsitzenden getrost
hinzufügen: Trümmerfrau der SPD, etablierte Parteisoldatin mit
einschlägiger Regierungserfahrung, Pipi-Langstrumpf-Imitatorin, die
manchmal zu Kraftausdrücken neigt. In den GroKo-Wirren wurde sie erst
als Kandidatin für den Parteijob ausgekungelt und gestern schließlich
gewählt. Vor Nahles liegt nun das Kunststück, der ziemlich
abgestraften, verunsicherten Partei neues Profil und neue Schlagkraft
zu verleihen – und vor allem neues Vertrauen der Wähler zu erringen.
Und dies alles noch unter den Bedingungen des Mitregierens in der
ungeliebten GroKo. An dieser Herkulesaufgabe sind schon einige
Vorsitzende vor ihr kläglich gescheitert. Allerdings spricht für die
Frau aus der Eifel, dass sie sowohl die Innereien ihrer Partei, den
Berliner Politikbetrieb, als auch die Sorgen und Nöte der kleinen
Leute bestens kennt. Nahles ist nicht nur eine Frau mit Ecken und
Kanten, eine mit lockerer Zunge, sondern auch eine, die sich nicht
verbiegen lässt, die nicht abhebt, wie vielleicht mancher SPD-Chef
vor ihr. Mit den Nachwehen der Agenda 2010 hat sie jedoch zugleich
ein politisches Erbe aus der Schröder-Müntefering-Zeit übergeworfen
bekommen, dass sie nicht so ohne weiteres abschütteln kann. Das
Prinzip des Förderns und Forderns ist in der bürokratischen
Sozialstaats-Praxis so ziemlich in ihr Gegenteil verkehrt worden.
Nahles, und mit ihr die gesamte SPD, steckt dabei insofern in der
Bredouille, dass sie über die Regierung höchstens kleine
Veränderungen wird vornehmen können. Das jedoch könnte in den Augen
von Millionen ehemaliger SPD-Wähler zu wenig sein. Der Absturz der
ehemaligen Volks-Partei unter die 20-Prozent-Marke in der
bundesweiten Wählergunst scheint nicht aufgehalten. Bereits die
Landtagswahlen in Bayern und Hessen im Oktober werden auch zum Test
für die neue SPD-Vorsitzende. Dabei stimmt das gestrige Wahlergebnis
ziemlich genau mit dem Kräfteverhältnis in der Partei zwischen den
Anhängern der Groß-Koalition und ihren Gegnern überein. Andrea Nahles
ist, wenn man so will, eine Art Zwei-Drittel-Parteivorsitzende. Sie
muss beide Pole, die linken GroKo-Gegner wie die eher pragmatischen
-Befürworter, und die breite Masse dazwischen berücksichtigen und bei
der Stange halten. Einfach wird das nicht. Schon pocht der Juso-Chef
Kevin Kühnert, der zur Wahl überraschend ins Nahles-Lager
überwechselte, auf den Vorsitz im vergleichsweise wichtigen
SPD-Arbeitskreis Sozialpolitik. Gut für die innerparteiliche
Demokratie in der SPD war jedenfalls, dass sich eine mutige
Gegenkandidatin zur erfahrenen Parteimanagerin fand. Die Flensburger
Oberbürgermeisterin Simone Lange hat den Großkopferten der Partei
gezeigt, dass die Basis nicht bereit ist, in Hinterzimmern
ausgekungelte Entscheidungen so einfach mitzutragen. Das Beispiel aus
dem Norden könnte auch in anderen Parteien Schule machen. Demokratie
lebt vom Diskurs, lebt von Alternativen, programmatisch-politischen
wie personellen. Der CDU etwa steht mit dem – absehbaren – Ende der
Parteikarriere von Angela Merkel ebenfalls ein personeller Umbruch
ins Haus. Wählen heißt ja schließlich auch – auswählen. Ob mit ihrer
Wahl zur Vorsitzenden allerdings bereits die Vorentscheidung für
Nahles als nächste Kanzlerkandidatin der SPD in knapp drei Jahren
gefallen ist, steht noch in den Sternen. Das Macht-Tandem zwischen
ihr und Vize-Kanzler Olaf Scholz scheint jedenfalls zu funktionieren.
Und wer weiß, vielleicht hat Nahles von Merkel gelernt. Die
CDU-Chefin ließ 2002 Edmund Stoiber den Vortritt bei der
Kanzlerkandidatur. Nach seinem knappen Scheitern war Merkel drei
Jahre später Kanzlerin.
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