Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Flughafen München

Es gab einmal eine Zeit in Deutschland, da
gingen hunderttausende auf die Straße, um gegen eine Startbahn zu
protestieren. Sie bauten Hüttendörfer, besetzten eine Autobahn,
organisierten Sonntagsmärsche und hielten die Bewegung fast über zwei
Jahrzehnte am Leben. Erst als auf einer Demonstration am 2. November
1987, drei Jahre nach Inbetriebnahme der Startbahn, zwei Polizisten
erschossen wurden, fand der Protest ein jähes Ende. In München ist es
nach dem positiven Bescheid der oberbayerischen Regierung zum Bau der
dritten Start- und Landebahn erstaunlich ruhig. Sicher, es waren
andere Umstände damals, der Bau der Startbahn West in Frankfurt fiel
in die Zeit der Ölkrise, des erwachenden Umweltbewusstseins und des
Erstarkens der Grünen Bewegung. Die drohende Abholzung von 129 Hektar
gesunden Waldes war damals ein Alarmsignal, das die Leute unabhängig
von der persönlichen Betroffenheit durch Lärm oder Abgase auf die
Straße trieb. Aber war nicht in den vergangen Monaten immer wieder
vom Wiedererstarken der deutschen Protestkultur die Rede? Unter
Verweis auf den Widerstand gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21, aber
auch auf die Zehntausende Menschen, die auch in München gegen die
Nutzung der Atomkraft auf die Straße gingen? Zur Demonstration gegen
den Flughafenausbau vor der CSU-Zentrale kamen nach der Entscheidung
gerade einmal ein paar hundert Menschen. Fast scheint es, als sei die
emotionale Betroffenheit der Hauptstädter zu gering – liegt doch der
Flughafen, anders als der Stuttgarter Bahnhof, weit vor den Toren der
Stadt. Und mal ehrlich: Wer fliegt denn nicht gerne in den Urlaub,
wer freut sich nicht, wenn für den dringenden Geschäftstermin in
Brüssel gleich sechs Direktverbindungen am Tag zur Auswahl stehen?
Dass ein paar Vögel vertrieben werden und dass ein paar Menschen
umziehen müssen, ist das nicht einfach der Preis, den der Fortschritt
eben kostet? Doch ganz so unabwendbar notwendig, die wie die
Flughafengesellschaft FMG es darstellt, ist der Ausbau vielleicht
nicht. In Zeiten von steigenden Öl- und Rohstoffpreisen, von
wachsendem Klimabewusstsein und von immer stärkerer medialer
Vernetzung, die viele Fernreisen unnötig macht, davon auszugehen,
dass das Passagieraufkommen auch in Zukunft stetig wachsen wird, ist
sehr optimistisch. Der Ausbau ist nicht alternativlos. Aber die FMG
erhofft sich Wachstum und Profit, auch die bayerische Wirtschaft
rechnet mit positiven Effekten durch die bessere Anbindung an die
internationalen Märkte, mit einer Stärkung des Standortes Bayern.
Viel wird nun davon abhängen, wie die Flughafengesellschaft in den
kommenden Monaten agiert. Ob ein Kompromiss denkbar ist in einer
Situation, in der die eine Seite Geld verdienen, die andere sich aber
ihre Heimat bewahren will. Denn auch die Anliegen und Argumente der
Anwohner und der Ausbaugegner sind berechtigt, schließlich geht es
hier um gewachsene, intakte Dorfgemeinden, um Vogelschutzgebiete und
Naturlandschaften. Sollte es den Gegnern gelingen, den Protest in die
Hauptstadt zu tragen, ist es durchaus denkbar, dass das Projekt trotz
des positiven Planfeststellungsbescheides doch noch scheitert. 51
Prozent der FMG gehören dem Freistaat, 26 Prozent der Bundesrepublik
und 21 Prozent der Stadt München. Die Entscheidung, ob und wann
gebaut wird, ist also letztendlich eine politische. Die großen
Parteien aber sind bei der Ausbaufrage zerrissen: Die SPD hat sich
auf der Münchner Delegiertenversammlung für die dritte Startbahn
ausgesprochen, auf Landesebene dagegen, CSU-Ministerpräsident
Seehofer hat sich deutlich auf der Seite der Befürworter
positioniert, an der Basis und vor allem in den CSU-Verbänden der
betroffenen Landkreise aber rumort es gewaltig. Angesichts der
bevorstehenden Landtags- und Kommunalwahlen 2013/2014 wird man sehr
genau darauf achten, wie sich die öffentliche Meinung zum Großprojekt
Flughafenausbau entwickelt.

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