Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur NRW-Wahl von Stefan Stark

Das deutsche Griechenland liegt in
Nordrhein-Westfalen. In keinem anderen Bundesland ballen sich so
viele Kommunen, denen die Schulden über den Kopf gewachsen sind.
Duisburg, Oberhausen, Essen – und viele andere einst wohlhabende
Städte – sind heute so bankrott, dass ihnen nur noch mit
Schuldenschnitten, Hilfspaketen und Rettungsschirmen zu helfen wäre.
Die ganze Liste der Pleitegemeinden würde diesen Artikel füllen.
Daran wird die Dimension des Problems deutlich: Es ist nicht lokal
begrenzt, es bringt letztlich ganz NRW in finanzielle Schieflage.
Ruiniert hat die Kommunen jedoch nicht der Solidarpakt Ost, wie man
anhand der Klagelieder der Ruhrpott-Häuptlinge meinen könnte. Sie
haben sich selbst in den Schlamassel geritten, weil sie über
Jahrzehnte Politik auf Pump betrieben – kräftig ermutigt von den
wechselnden Landesregierungen. Systematisch wurde viel mehr Geld
ausgegeben, als man einnahm. Aus Großmannssucht, um Wahlgeschenke zu
verteilen, und auch, um den Leuten vorzumachen, man würde den
Strukturwandel vom einstigen Hochofen der Nation zur
Dienstleistungsregion schon meistern. Die Schuldenmisere in NRW wäre
also eigentlich ein gefundenes Fressen für den wahlkämpfenden
CDU-Politiker Norbert Röttgen, um der SPD-Landesmutter Hannelore
Kraft am Sonntag eins auszuwischen. Es wäre zwar unfair, das
rot-grüne Bündnis allein als Bankrotteur hinzustellen. Denn SPD und
Grüne erbten die Hinterlassenschaften der schwarz-gelben Koalition
von Jürgen Rüttgers. Doch Kraft drosselte die Geldschleusen nicht,
sie drehte sie noch auf. Anstatt dies als Trumpf im Wahlkampf
auszuspielen und sich auf eine Kampagne zu konzentrieren, die die
Schuldenberge in NRW als verantwortungslose Hypothek für unsere
Kinder thematisiert, macht Röttgen etwas völlig Unerwartetes: Er
redet sich um Kopf und Kragen. Viele in der eigenen Partei nahmen ihm
schon vorher übel, dass er sich nicht klar zu NRW bekannte. Bis
zuletzt drückte er sich um die Antwort, ob er sich im Fall einer
Niederlage mit dem harten Oppositionsstuhl in Düsseldorf begnügen
würde, oder ob er sich dann wieder auf der Regierungsbank in Berlin
sonnen will. Dass er nun die NRW-Wahl zur Abstimmung über den
Euro-Rettungskurs von Angela Merkels schwarz-gelber Koalition
hochstilisierte, war ein Schnitzer, dem man einem Routinier wie
Röttgen gar nicht zugetraut hatte. Seine unglückliche Aussage machte
er ausgerechnet an einem Tag, an dem klar wurde, dass die Rettung
Griechenlands gewaltig in die Hose gehen wird. Die genüsslichen
Reaktionen aus der SPD, die Merkels letzten verbliebenen Kronprinzen
nun als Hannelore Krafts besten Wahlhelfer bezeichnet, werden ihm
noch lange anhaften. Vielleicht war es die reine Verzweiflung, die
ihn angesichts miserabler Umfragewerte zu dieser Äußerung trieb – ein
Zeichen dafür, wie sehr die Nerven blank liegen. Doch einem wie
Röttgen, der auf der Leiter ganz nach oben will, werden solche groben
politischen Fehler nicht so schnell verziehen. Schon gar nicht von
Merkel mit ihrem Elefantengedächtnis. Mit seinem auf NRW gemünzten
Euro-Rettungsvergleich wäre seine absehbare Niederlage auch zu ihrer
geworden. Natürlich musste sie ihn zurückpfeifen – nicht nur in
eigener Sache, sondern auch wegen des schwarz gelben
Koalitionsfriedens. Denn auch den Liberalen erwies Röttgen einen
Bärendienst. Im theroretischen Fall eines Wahlerfolgs wäre er auf sie
als Partner angewiesen. Anstatt der FDP einen Rettungsring
zuzuwerfen, beschwerte er sie auch noch zentnerschwer mit seinem
Euro-Rettungs-Betonklotz, mit dem er sich vorher selbst versenkt hat.
Röttgen muss viel Lehrgeld bezahlen. Er sollte sich merken, dass eine
Landtagswahl zu 90 Prozent eine Abstimmung über die Arbeit der
Landesregierung ist. Wo, wenn nicht im Schuldenland
Nordrhein-Westfalen, sollte denn ein Wahl-Herausforderer mit diesem
Pfund wuchern?

Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de