Während in den meisten Ländern Europas und in
Nordamerika um den besten Weg gerungen wird, die Wirtschaft zu
sanieren, hat die deutsche Justiz offenbar nichts Wichtigeres zu tun,
als über das Für und Wider der Beschneidung männlicher Säuglinge zu
urteilen. Richter des Landgerichts Köln entschieden, eine
Beschneidung aus religiösen Gründen sei Körperverletzung. Diese werde
nicht durch die Einwilligung der Eltern gerechtfertigt. Die
Beschneidung entspreche nicht dem Kindeswohl. Der Körper werde durch
die im Judentum obligate und im Islam regelhafte Beschneidung
„dauerhaft und irreparabel verändert“. Beim Urteil setzen die
Juristen gemäß Paragraph 1631, Absatz 2, des Bürgerlichen Gesetzbuchs
die Beschneidung mit Züchtigungen, seelischen Verletzungen und
Entwürdigungen des Kindes gleich. Wurde der geborene Jude Jesus von
seinen Eltern Maria und Josef seelisch verletzt und entwürdigt? Oder
geschah dies mit Albert Einstein, Sigmund Freud, Walther Rathenau,
Henry Kissinger, Marcel Reich-Ranicki? Bleiben sie dauerhaft
versehrt? Die Herren waren oder sie sind Juden. Seit 1.700 Jahren
leben Juden in Deutschland. Auf diesem tiefen Niveau aber hat man
sich bislang nicht gezankt. Der juristische Streit ist überflüssig
wie ein Blinddarm. Er enthüllt zudem ein zuvor kaum für möglich
gehaltenes Maß an Engstirnigkeit und Provinzialität. 70 Prozent der
US-Amerikaner sind beschnitten, die meisten davon Christen. Kein
US-Richter käme auf die Schnapsidee, eine Beschneidung unmündiger
Knaben zu kriminalisieren. Denn es gibt neben religiösen auch
schwerwiegende medizinische Gründe gegen den Kölner Richterspruch.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat bereits 2007 festgestellt,
dass das Ansteckungsrisiko bei HIV-Infektionen um bis zu 60 Prozent
sinkt, wenn die Männer beschnitten sind. Daher empfiehlt die WHO die
Beschneidung von Männern. Ähnliche Werte liegen bei Übertragungen von
Keimen vor, die Gebärmutterhalskrebs bei Frauen verursachen können.
In beiden Fällen handelt es sich nicht um juristische
Spitzfindigkeiten, sondern um Fakten, durch die jährlich Tausende von
Menschenleben gerettet werden können. In meiner Kindheit hatten wir
uns einer Schluckimpfung zu unterziehen. Wie bei allen medizinischen
Maßnahmen, ja bei allem menschlichen Tun, konnten und können
Nebenwirkungen eintreten. Das Ergebnis war jedoch die Auslöschung der
Geißel Polio. Das Urteil von Köln entspringt nicht Antisemitismus
oder Islamfeindlichkeit. Der Alarmruf, dies sei das Ende des
jüdischen Lebens in Deutschland, ist übertrieben. Das Kölner Verdikt
bewirkt eine beschnittene Toleranz. Den Säugling schmerzt die
Beschneidung – kurz. Juden und Moslems halten daran seit je fest. Wie
die Christen an der Taufe. Zudem senkt die Beschneidung das
Aids-Risiko bei allen. Daher wird das Kölner Urteil in einer höheren
Instanz, die den gesunden Menschenverstand und das Gesamtbild zu
würdigen weiß, scheitern.
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