Was hinterlässt Christian Wulff? Und was
hinterlassen zwei aufschlussreiche Monate, die einen langen und
intensiven Blick erlaubten in ein dichtes Gewebe von Wirtschaft und
Politik, von Gier und Macht? Zunächst eine tragische Figur.
Niemanden, mit dem man Mitleid haben müsste, aber jemanden, der sich
durch oder in der Politik zu einer bizarren Figur formte oder formen
ließ: zum Präsidenten der Scheinheiligkeit. Wenigstens diesen Titel
wird Wulff so schnell niemand streitig machen können. Mit der Fassade
Schwiegermutters Liebling – adrett und nett, blass, aber höflich –
machte Wulff in der CDU Karriere. Zu Unternehmers Liebling wurde er
als Ministerpräsident. Er ließ er sich hofieren und aushalten. Er
verlor er den politischen Instinkt und den Stil, das Maß und die
Skrupel. Vielleicht sogar einen Teil seines Verstands. Denn die
Worte, die er heute zum Rücktritt fand, zeigen einmal mehr: Der Mann
hat nichts begriffen. Es geht und ging nicht um strafrechtliche
Relevanz. Es ging um Untadeligkeit, um Rückgrat, um Ehre, um Würde.
So Wulff das mal besessen haben sollte, geblieben ist davon nichts.
Was bleibt noch? Manche hoffen, dass der Fall Wulff die Medien und
die Gesellschaft gelehrt hat, genauer hinzusehen und keine Ruhe zu
geben. Es heißt, es habe sich gezeigt, dass die
Selbstreinigungskräfte der Gesellschaft wirken, dass die Demokratie
gestärkt worden sei. Schön wär–s. Doch wie naiv muss man sein, wenn
man glaubt, dass allenthalben im Land die Politiker nun mit ihren
guten Freunden in der Wirtschaft brechen, Einladungen zu Sausen
freundlich zurückweisen und auf Vorteile ihres Amts verzichten. Sie
werden künftig nur besser aufpassen, damit sie nicht erwischt werden.
Und so hinterlässt Wulff zwar eine gewisse Genugtuung, dass ein
dickes Fell, Langmut und Sitzfleisch als Qualifikationen letztlich
nicht ausreichen und dass dieses Land einen Repräsentanten bekommt,
der im Vergleich zu Wulff nicht anders sein kann als bescheiden und
demütig. Aber neben Wulff bleibt in der langen Ahnengalerie der Maß-
und Skrupellosen, der Späths und Glogowskis, der Streibls und
Krauses, auch noch ein Platz frei. Die Vergangenheit lehrt, dass er
auch dieses Mal nicht lange leer bleiben wird.
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