Allg. Zeitung Mainz: Schlimmer / Reinhard Breidenbach zu 30 Jahre Gladbeck

Wer in jenem August 1989 im Essener Gerichtssaal
Blickkontakt zum Geiselgangster Rösner hatte, mag einen winzigen
Eindruck vom Irrwitz dieses Verbrechens und all seiner
Begleitumständen bekommen haben. Der Mann strahlte einerseits
unkontrollierbare Zerstörungsmacht aus, unfassbarerweise aber auch so
etwas Ähnliches wie Kumpelhaftigkeit. Degowski dagegen wirkte immer
und ausschließlich wie ein verwahrloster Vollidiot, eine Zeitbombe.
War es, unter anderem, Rösners Art, die einen Tross von Journalisten
anzog wie Motten das Licht? Zu einem kleinen Teil vielleicht. Zum
größeren Teil war es ein vollständiges Zusammenbrechen aller
professionellen und ethischen Wertmaßstäbe, was Gladbeck zum
schwärzesten Tag des deutschen Journalismus der vergangenen 30 Jahre
machte. Könnte so etwas genau so heute wieder geschehen? Nein. So
nicht. Schlimmer. Ein „Gladbeck II“ würde heute, so steht zu
befürchten, in punkto Voyeurismus noch wüster ausfallen. Mit
hunderten von Handys. Und vermutlich würde es wieder den leitenden
Redakteur eines Boulevardblatts geben, der, um später bei „Bild“
Karriere zu machen, ins Gangsterauto steigt – falls letzteres nicht
von Sicherheitskräften verhindert würde. Gladbeck war, das ist bei
aller berechtigten Medienschelte zu betonen, die absolute
Bankrotterklärung der beteiligten Verantwortlichen bei Polizei,
Staatsanwaltschaften und Politik. Ob sie daraus gelernt haben, ist
bislang weder bewiesen noch widerlegt. Die Täter Degowski und Marion
Löblich sind mittlerweile auf freiem Fuß, mithilfe von Steuergeld mit
neuer Identität ausgestattet. Derweil sind die Familien der
Ermordeten für immer zerstört.

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